© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Umwelt
Fahrdraht statt Dieselmotor
Jörg Fischer

Der mörderische Ukraine-Krieg verlangt viele Opfer, aber er kennt auch Profiteure, etwa die Rüstungsbranche. Und die künftige Energiekrise ist zudem Anlaß, uralte Forderungen erneut zu stellen: „Mehr Tempo bei der Elektrifizierung ist nicht nur aus Klimaschutzgründen sinnvoll“, erklärte Dirk Flege, Geschäftsführer des Lobbyvereins „Allianz pro Schiene“. Ein Bahntransport habe einen 5,5mal geringeren Energieverbrauch als der auf dem Lkw, so der SPD-nahe Politologe. Das mag für den Transport eines Porsche vom Werk Leipzig zum Überseehafen Bremen stimmen, doch welcher Mittelständler hat einen Bahnanschluß? Tausende Kilometer Gleis wurden seit 1945 abgebaut. Für komplexere Punkt-zu-Punkt-Lieferungen ist die Bahn inzwischen ungeeignet. Solche Ideen sind schon vor vier Jahrzehnten gescheitert.

Elektrifizierung macht das deutsche Schienennetz flexibler und damit leistungsfähiger.

Als die DDR Ende der siebziger Jahre ihr sowjetisches Erdöl nicht mehr zu „Freundschaftspreisen“ bekam und Diesel wie Kerosin kostbar wurden, mußte hektisch umorganisiert werden: 1980 wurden Dampfloks reaktiviert und der Inlandsflugverkehr eingestellt. Ab 1981 mußten sämtliche Güter schon ab zehn und nicht erst ab 50 Kilometer mit der Deutschen Reichsbahn (DR) transportiert werden, sofern Absender und Empfänger einen Gleisanschluß hatten. Und das war damals oft noch der Fall – gerechnet hat es sich nicht. Das Notstandsgesetz war der sozialistischen Mangelwirtschaft geschuldet. Sinnvoll war hingegen die Elektrifizierungsoffensive, die den Fahrdraht endlich bis Berlin und Rostock brachte. Und daß Deutschland als viertgrößte Volkswirtschaft der Welt bislang nur 61 Prozent seiner Bahnstrecken elektrifiziert hat, ist eine Schande: In Japan und der Schweiz sind es 100 Prozent, in Österreich und Italien immerhin 72 Prozent. Elektrifizierung „macht das Schienennetz flexibler und damit leistungsfähiger“ – damit hat Lobbyist Flege völlig Recht. Und hier würden die Steuermilliarden sinnvoller eingesetzt als bei der E-Auto-Förderung.