© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/22 / 01. April 2022

Der Flaneur
Schwerer Stand
Elke Lau

Wetter und Wunsch nach Kulissenwechsel animieren, das Wochenende in einem Ostseebad zu verbringen. Die überbreite Strandpromenade ist bei herrlichem Sonnenschein gut besucht, und der normale Spaziergänger hat einen schweren Stand. Senioren auf Elektrofahrrädern überholen Otto-Normal-Fahrer. Aber auch die müssen auf Rollerbiker, Handynutzer und Hundebesitzer ihr Augenmerk richten.

Gerade zwingt eine locker fünf Meter lange, quietschgelbe Leine am Hals eines Chihuahuas einen Raser zum ruckartigen Anhalten. Der zeigt der rosahaarigen Halterin wütend den Stinkefinger. Am Wegesrand balancieren Kinder – kreischend vor Vergnügen – über sinnig angebrachte Wackelelemente und fordern die Eltern auf, es ihnen gleichzutun.

Zwei Stunden später hatte sich der Hauptstrand in eine Art „Hundeschule“ verwandelt.

Wir erreichen die Vorderreihe und wühlen uns durch Menschenmassen, teilweise mit Fischbrötchen, Eiswaffeln oder Softgetränken bewaffnet, bis zum Gosch. Von hier hat man einen freien Blick auf den Priwall. Während Strand und Parkanlage der linken Seite geradezu einladen, die Norderfähre zu benutzen, vergeht die Lust beim Anblick der lückenlos neuerbauten grauweißen Wohnschachteln. Da rettet auch der vertraute Anblick des stolzen Viermasters „Passat“ den Freund nicht mehr.

In den Straßencafés der Vorderreihe genießen die Besucher – trotz der niedrigen Temperaturen – Kaffee und Kuchen. Wir auch. Zwei Stunden später hatte sich der Hauptstrand in eine Art „Hundeschule“ verwandelt. Dazu paßt die Dame mit drei Vierbeinern in einem Kinderwagen, kannten wir bisher nur vom New Yorker Central Parc.

Die Promenade endet an einer Badewiese. Zwei Kinder, etwa acht Jahre alt, drehen mit Affenzahn in einem elektrisch angetriebenen Spielzeug-Geländewagen mit Mercedesstern ihre Runden. Andere Familien, streng nach Frauen und Männern getrennt, bedienen sich an liebevoll aufgebauten Speisen und werfen vereinzelten Möwen ein paar Brocken zu. Das spricht sich bei denen in Windeseile herum. 

Die Vogelschar wächst besorgniserregend. Vergeblich der Versuch, die aggressiven Viecher zu verscheuchen. Erinnern Sie sich auch noch an Alfred Hichcocks Thriller „Die Vögel“?