© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Erdoğan kippt die Zehnprozenthürde
Mit dem Rücken zur Wand
Curd-Torsten Weick

Dem türkischen Langzeitherrscher Recep T. Erdoğan steht das Wasser bis zum Hals. Die steigende Inflationsrate – nun bereits bei 61 Prozent – verschreckt die Türken. Auch die Wirtschaft ächzt, und die türkische Lira ist im freien Fall. Hatte er nicht noch vor nicht allzu langer Zeit erklärt, daß die Türkei niemals Kompromisse bei den Regeln der freien Marktwirtschaft gemacht habe und nun viel näher an ihrem Ziel sei, eine der zehn größten Volkswirtschaften der Welt zu werden? Alles Schnee von gestern. Entsprechend wittert die Opposition Morgenluft und kritisiert die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die sich stets verschlechternde wirtschaftliche Lage, die grassierende Hoffnungslosigkeit und die Abgehobenheit Erdoğans in seinem Präsidentenpalast. 

Seit Monaten fordern CHP und Iyi-Partei Neuwahlen. Doch die kann und will sich Erdoğan nicht leisten. Seine AKP schwächelt, und für ihren treuen Koalitionspartner, die rechtsextreme MHP, ist die Zehnprozenthürde beinah schon ein unüberwindbares Hindernis. Das darf nicht sein und handstreichartig nach dem Motto „Ich mach mir die Welt, so wie sie mir gefällt“ machte das bis dato so erfolgreiche Gespann einfach aus der Zehnprozent- eine Siebenprozenthürde. Eine Mehrheitsentscheidung des Parlaments mit äußerst schalem Beigeschmack. „Die Geschichte hat es gezeigt und wird es wieder zeigen; du wirst dich in den Dämmen ertränken, die du errichtet hast“, erklärte ein CHP-Politiker. Dem ist nichts zuzufügen.