© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Frei und selbstbestimmt
Ungarn: Viktor Orbán gewinnt die Parlamentswahlen mit absoluter Mehrheit
Gerhard Papke

Ja, das war schon ein gewaltiger Schock für Politik und Medien in Deutschland, als sich am Sonntag abend schnell der fulminante Wahlsieg von Viktor Orbán abzeichnete. Schließlich hatten viele Berichte über den Wahlkampf in Ungarn in den letzten Monaten eher wie Werbespots für die Oppositionsparteien gewirkt. Deutsche Europaabgeordnete von SPD, Grünen, FDP und CDU hatten einmütig zur Abwahl von Orbán aufgerufen. Und dann ein solches Ergebnis! Wollen die Ungarn denn gar nicht begreifen, was gut für sie ist?

Wer die Stimmung in Ungarn in den vergangenen Wochen erlebt hat, konnte vom Wahlsieg Orbáns nicht wirklich überrascht sein. Am 15. März, einem von drei Nationalfeiertagen Ungarns, waren weit über 500.000 Menschen dem Aufruf regierungsnaher Organisationen zu einer Kundgebung in Budapest gefolgt, also mehr als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung! Und es war spürbar, daß die Regierung beim Umgang mit dem Ukraine-Krieg genau die Meinung der ungarischen Wähler traf: ein eindeutiges Bekenntnis zum westlichen Bündnis, doch gleichzeitig ein klares Nein zu allen Versuchen, die Nato in den Krieg hineinzuziehen. Die Ungarn tragen die Sanktionen gegen Rußland mit, sind aber strikt gegen ein umfassendes Energie-Embargo.

Versuche der Opposition und aus dem westlichen Ausland, Orbán als Putin-Vertrauten zu diffamieren, gingen völlig daneben. Die Ungarn haben inzwischen mehr als 550.000 Flüchtlingen aus der Ukraine Zuflucht gewährt. Sie wollen helfen, aber keine Kriegspartei werden.

Die Ungarn lieben ihr Land und sind stolz darauf. Der Schutz ihrer Grenzen vor ungesteuerter Massenzuwanderung aus islamischen Ländern ist für sie ebenso selbstverständlich wie ihr Bekenntnis zur klassischen Familie. In der ungarischen Verfassung steht, daß eine Mutter eine Frau ist und ein Vater ein Mann. Mit einer Transgender-Debatte, wie sie in Deutschland geführt wird, würde man in Ungarn nur blanke Fassungslosigkeit ernten. Die Ungarn sind überzeugte Europäer, wollen aber selbst über ihre Zukunft entscheiden und sich nicht aus Brüssel fremdbestimmen lassen.

Genau aus diesen Gründen ist Ungarn unter der Regierung Orbán zum Hauptgegner des linken Mainstreams in Westeuropa geworden. In der Hoffnung, zur Ablösung Orbáns beitragen zu können, kannte die Diffamierungskampagne aus Brüssel und in vielen deutschen Medien in den vergangenen Monaten praktisch keine Grenzen mehr. Blindwütige Beschimpfungen, etwa der SPD-Politikern Katarina Barley, Ungarn sei eine Diktatur, empfinden selbst ungarische Bürger als ehrabschneidend, die noch nie Viktor Orbán gewählt haben. Unvergessen ist auch die Ansage des niederländischen Regierungschefs Mark Rutte: „Wir wollen Ungarn in die Knie zwingen!“ Doch die Ungarn lassen sich nicht in die Knie zwingen. Das haben sie bei der Wahl am Sonntag einmal mehr unter Beweis gestellt.

Viktor Orbán hat die vierte Wahl hintereinander mit absoluter Mehrheit gewonnen. Im Parlament verfügt seine Regierung erneut über eine Zweidrittelmehrheit. Die Ungarn sind ein zutiefst freiheitsliebendes Volk, das in den gut 1.000 Jahren seiner staatlichen Existenz permanent ums eigene Überleben kämpfen mußte. Der Volksaufstand von 1956 gegen die kommunistische Unterdrückung ist im Land unvergessen. Die Ungarn lassen sich keine Diktatur gefallen. Wer meint, ihr demokratisches Votum sei das Resultat von Unterdrückung und Wahlmanipulation, hat keine Ahnung oder will es aus ideologischen Gründen einfach nicht besser wissen.

Natürlich kommt das ungarische Wahlrecht der stärksten Partei entgegen: 106 der 199 Parlamentsmandate werden über Wahlkreise vergeben, lediglich 93 über Parteienlisten. Eine Verrechnung der Direkt- mit den Listenmandaten wie in Deutschland findet nicht statt. Aber ähnliche Regelungen gibt es auch in anderen Ländern Europas, am extremsten in Großbritannien mit einem reinen Mehrheitswahlrecht. Spricht man ihnen deshalb die demokratische Legitimation ab? Sechs ungarische Oppositionsparteien hatten zur Wahl ein Bündnis gebildet, um in den Wahlkreisen mit nur jeweils einem Kandidaten anzutreten. Das war mit Blick auf das Wahlrecht verständlich. Was im Westen zur „Hoffnung für die ungarische Demokratie“ hochgejubelt wurde, sah aus Sicht vieler Ungarn ganz anders aus: Das Bündnis von „Kommunisten bis Faschisten“, wie es ihr Spitzenkandidat Péter Márki-Zay offen benannte, erweckte großen Argwohn. 

Zumal die bestimmende Kraft dabei eindeutig die Postkommunisten unter der Regie des früheren Ministerpräsidenten Gyurcsány waren. Er hatte 2006 als amtierender Regierungschef in einer publik gewordenen Rede zugegeben, die Öffentlichkeit jahrelang belogen zu haben, um Wahlen zu gewinnen. Seitdem ist er für die allermeisten Ungarn ein rotes Tuch. In Deutschland wurde darüber übrigens ebensowenig berichtet wie über die schlimmen antisemitischen Aussagen von Jobbik-Politikern, am rechten Rand des Oppositionsbündnisses. Wenn es gegen Orbán geht, ist man bei uns offenbar plötzlich nicht mehr allzu zimperlich!  

Orbáns Wahl hat hingegen erhebliche Auswirkungen auf die Europäische Union. Wie immer man im einzelnen zu seiner Politik stehen mag: Ungarn bleibt die Trutzburg eines föderalen Europas, das sich zur Vielfalt seiner Völker bekennt und nicht bereit ist, demokratische, nationale Selbstbestimmung zugunsten Brüsseler Einheitslösungen aufzugeben. Das ist keine Politik gegen Europa, wie immer behauptet wird, sondern ganz im Gegenteil der einzige Weg, um Europa politisch zusammenzuhalten. 

Denn spätestens seit Sonntag sollte allen klar sein, daß die Völker Mitteleuropas keinen westeuropäischen Kulturimperialismus akzeptieren werden, der ihnen vom linken und linksliberalen Milieu verordnet werden soll. Die Ungarn wollen ihre Kinder so erziehen, wie sie es wollen und so leben, wie es ihren eigenen Vorstellungen entspricht. Andere Nationen in Europa sehen das bestimmt genauso. Viele von uns Deutschen übrigens auch.






Dr. Gerhard Papke, Landtagsvizepräsident NRW a.D., ist Präsident der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland.