© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

„Allen droht das Aus“
Frankreich: Stark wie nie geht die Rechte in die Präsidentschaftswahl – und liegt doch zurück. Warum? Kann sich das Blatt noch wenden? Der konservative Fachjournalist Geoffroy Lejeune warnt – sieht aber auch Chancen
Kristian Iovino / Moritz Schwarz

Herr Lejeune, kostet Wladimir Putin die französische Rechte, die mit ihrem guten Verhältnis zu ihm geworben hat, nun den Wahlsieg?

Lejeune: Nein, vor dem Krieg war Emmanuel Macron schon der Favorit und lag in den Umfragen vorne. Allerdings, man kann schon sagen, daß der Ukraine-Krieg die Kampagnen der Kandidaten lahmgelegt hat. Die Chancen, Macron zu bezwingen, haben sich dadurch verringert.

Beobachter meinen, Putins Überfall habe den rechten Kandidaten Eric Zemmour erstens in den Augen vieler Wähler diskreditiert, zweitens seine Wahlkampfthemen  – Einwanderung, Sicherheit, Islam etc. – verdrängt.

Lejeune: Zunächst hatte Zemmour von diesen Themen profitiert, aber als sich wieder anderes, wie Corona oder nun der Krieg, in den Vordergrund drängte, hat er in den Umfragen eingebüßt, ja. Daß ihm aber auch seine Positionierung gegenüber Putin geschadet hat, das glaube ich nicht. Einen Fehler hat Zemmour allerdings begangen, den er zu spät korrigiert hat: Während das französische Volk bereit war, Flüchtlinge aus der Ukraine aufzunehmen, ist er zunächst seiner Linie treu geblieben, jegliche Migration unterbinden zu wollen. Folglich war er gegen deren Aufnahme. Erst eine Woche später hat er seine Aussage richtiggestellt und vertritt nun, daß Frankreich Ukrainer aufnehmen sollte.  

Ihr Magazin „Valeurs actuelles“ unterstützt tendenziell Zemmour, über den Sie auch ein Buch geschrieben haben. Warum ist er aus Ihrer Sicht der richtige Kandidat?  

Lejeune: Zunächst unterstützt Valeurs actuelles nicht Eric Zemmour als Präsidentschaftskandidat.

Nun, Ihr aktuelles Titelblatt „Le Dynamiteur“ etwa ...

Lejeune: Bitte lassen Sie mich aussprechen. Es ist vielmehr so, daß wir uns nicht von den Inhalten Zemmours distanzieren – aber wir halten Distanz zu allen politischen Kampagnen, jeglicher Politiker. Wir haben seine Kampagne wie eine normale Zeitung vorgestellt und objektiv und auch kritisch über ihn berichtet. Als Journalisten ist es nämlich unsere Aufgabe, die Wahrheit zu sagen. Darüber hinaus kann ich nicht beurteilen, ob  Zemmour der richtige Kandidat ist oder nicht. Ich finde ihn und seine Kampagne jedoch interessant, da er Themen anspricht, die im öffentlichen Diskurs oft vergessen wurden. Außerdem hat Zemmours Kandidatur dafür gesorgt, daß die französische Rechte nicht mehr gleichbedeutend mit dem Rassemblement National und Marine Le Pen ist. Seit dreißig Jahren gewinnt die französische Linke Wahlen, da es Streitigkeiten zwischen der französischen Rechten und dem Rassemblement National gibt.

Warum unterstützen Sie nicht Le Pen? Was stört Sie an ihr?

Lejeune: Erstens, daß das Rassemblement National bisher keine wichtigen Wahlen im zweiten, entscheidenden Wahlgang gewinnen konnte – das kann sich aber natürlich noch ändern. Zweitens gibt es aber auch noch ein strategisches Problem: Le Pens Partei hat sehr unter Verteufelung gelitten, was ihr Auftreten beinflußt und dazu geführt hat, daß sie das Programm verändert hat.

Le Pen ist für Sie also zu sehr in die Mitte gerückt?

Lejeune: Ja, ihre Ideen sind strenggenommen eigentlich links. Viele Wähler sind deshalb abgesprungen.

Le Pen liegt in den Umfragen mit gut 20 Prozent auf Platz zwei hinter Macron mit 27,5 Prozent. Eric Zemmour dagegen mit nur gut 10 Prozent auf Platz vier hinter dem Linken Jean-Luc Mélenchon (15,5 Prozent). Trotzdem behauptet Zemmour, noch jede Chance zu haben zu gewinnen. Glauben Sie ihm das?

Lejeune: Zunächst, ich glaube, daß der Patriotismus, den er repräsentiert, nach wie vor eine sehr starke politische Kraft in Frankreich ist und es auch bleiben wird. Was die Wahl angeht, ist alles offen, die Umfragen können sich von einem Augenblick zum anderen ändern. Entscheidend wird zudem die Wahlbeteiligung sein. Außerdem ändern viele Bürger im letzten Moment ihre Wahlentscheidung.

Wenn Zemmour, wie es die Umfragen nahelegen, scheitert, was wird er dann machen: Sich zurückziehen oder könnte er in anderer Form weiter mitmischen – hätte er gar vielleicht eine zweite Chance oder könnte er sich mit Le Pen zusammentun?

Lejeune: Tja, das kann ich Ihnen auch nicht sagen. Und ich habe den Eindruck, daß er es selbst noch nicht weiß und er darüber wohl erst nach dem 24. April, also nach der Wahl entscheiden wird.

Der „Spiegel“ schreibt treffend: „Frankreichs Rechtspopulisten sind stark wie nie“, trotzdem führt Macron, da diese gespalten sind. Warum haben Le Pen und Zemmour eigentlich nicht zusammengefunden? Liegt das nur an den Personen oder an einer grundsätzlichen Spaltung der französischen Rechten, für die die beiden nur der Ausdruck sind?

Lejeune: Die Spaltung betrifft nicht nur Zemmour und Le Pen sondern auch Valérie Pécresse, die Kandidatin der „Republikaner“, also der Konservativen, die alle einzeln antreten, statt gemeinsam gegen Macron zu kämpfen – das ist das Problem. Allen drei droht deshalb das Aus nach der Wahl: Pécresse, die in den Umfragen übrigens wie Zemmour bei gut zehn Prozent liegt, fällt es schwer, den Bürgern gegenüber zu kommunizieren, was sie möchte und was sie denkt. Zudem fehlt ihrer Partei eine klare Linie und sie ist innerlich gespalten. Ja, sie droht nach der Wahl auseinanderzubrechen und sich zwischen Macrons Partei La République en Marche und Zemmours Partei Reconquête (Rückeroberung) aufzuteilen. Auch Marine Le Pen könnte bei einer erneuten Niederlage, es wäre die dritte bei einer Präsidentschaftswahl, aus der Politik verschwinden. Und dann könnte auch das Rassemblement National auseinanderbrechen. Eric Zemmour erfährt aktuell starke Unterstützung – wenn er aber von den drei die wenigsten Stimmen einfährt, könnte es auch für ihn gefährlich werden. Wenn auch noch nicht klar ist wer, so werden nach der Wahl auf jeden Fall einige Politiker vom politischen Parkett verschwinden. Und vielleicht sehen wir ja dann in fünf Jahren bei der nächsten Wahl einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten der französischen Rechten.

Aber es gibt doch fundamentale programmatische Unterschiede zwischen dem Rassemblement National, den Republicains und Reconquête, die sich nicht so einfach unter einen Hut bringen lassen?

Lejeune: Ja, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik etwa vertritt Le Pen linke, sozialistische Positionen. Beispielsweise spricht sie sich mittlerweile für die Beibehaltung des Euro aus, obwohl sie früher gegen ihn war. Zemmour vertritt dagegen klassisch rechte und wirtschaftsliberale Positionen, die sich für den Schutz der Händler und Unternehmer vor dem Staat einsetzten. Ich präferiere den klassisch rechten Ansatz. Abgesehen davon ist Le Pens Migrationspolitik liberaler als Zemmours.

Was drückt Zemmours Erscheinen eigentlich aus? Das ist ja nicht der Alleingang eines alten Mannes, sondern ein Phänomen.

Lejeune: Seine Kandidatur ist symptomatisch für dieses Land – und für die französische Rechte. Denn seit Jahren hat sich am Zustand dieses Landes und der Rechten nichts verändert. Viele Rechte haben deshalb überlegt, was sie tun können, um dies zu ändern. Auch gibt es eine Spaltung zwischen der Rechten und dem Rassemblement. Davon profitiert Zemmour. Er tauchte mit politischen Ideen auf, die niemand in der Form vertreten hat, und er füllt damit eine Lücke in der französischen Rechten.

Was war Zemmours Motivation?

Lejeune: Er fühlte sich von der französischen Rechten verraten und glaubt nicht mehr, daß das Rassemblement National noch Wahlen gewinnen kann. Außerdem findet er, daß die Partei, wie gesagt, zu sehr ihre ursprünglichen Ideen verändert hatte.

Sie sprachen eben von einem möglichen Verschwinden  Marine Le Pens. Für wie wahrscheinlich halten Sie das und wer würde ihr Nachfolger beim Rassemblement National werden? 

Lejeune: Le Pen geht im Moment davon aus, daß sie die Präsidentschaftswahl gewinnt, weshalb sie noch nicht daran denkt, was in fünf Jahren sein wird. Wenn man sie fragt, dann sagt sie manchmal, daß sie weitermachen wird – und an anderen Tagen, daß sie aufhören möchte. Ich kann aber nicht einschätzen, wie sie nach der Wahl entscheiden wird. Wenn sie aufhören sollte, müßte ihr natürlicher Nachfolger der EU-Abgeordente und jetzige Vizevorsitzende des Rassemblement National Jordan Bardella sein. Der italienischstämmige 26jährige und ehemalige Kopf der Parteijugend „Génération Nation“ tritt brillant auf und ist deutlich fähiger, mit Leuten wie Eric Zemmour zusammenzuarbeiten.

In Deutschland fragen sich viele Interessierte, warum Marine Le Pen und ihre Nichte Marion Maréchal so verfeindet sind und welche Rolle Marion spielen könnte, wenn Marine einmal zurücktreten sollte.

Lejeune: Marion hat sich dazu entschieden, das Rassemblement National zu verlassen und Eric Zemmour zu unterstützen. Sie teilt seine Positionen, die ich vorhin angeführt hatte, mehr als die Le Pens. Schon als Parlamentsabgeordnete des RN von 2012 bis 2017 hatte sie die Entwicklung der Partei unter ihrer Tante kritisiert, was zum Bruch führte.

Glauben Sie, Maréchal könnte Zemmours Nachfolgerin werden?

Lejeune: Ja, das könnte passieren.

Allerdings hat Zemmour auch Aussagen gemacht, die in der Tat grenzwertig sind, etwa Arbeitgeber hätten ein Recht, Araber oder Schwarze abzulehnen – wofür er gerichtlich verurteilt wurde. Geht er in manchem nicht zu weit?

Lejeune: Nein. Ich finde es nicht richtig, jemanden wegen seiner Hautfarbe zu diskriminieren. Aber in Frankreich sollte man alles sagen und über alles diskutieren dürfen. Die Franzosen haben Angst vor weiterer Migration und solche Aussagen resultieren aus dieser Angst. Außerdem wird in Frankreich mit zweierlei Maß gemessen. Rechte kommen für kontroverse Aussagen vor Gericht, Linke nicht.

Ist Zemmour rechtsextrem, wie er von den deutschen Medien eingeordnet wird?

Lejeune: Nein, wenn man sich seine Aussagen, sein Programm und seine Motivation anschaut, ist er klassisch rechts, aber nicht rechtsextrem. Die Partei von Präsident Jacques Chirac, die RPR, wie die Republikaner damals noch hießen, vertrat in den achtziger Jahren exakt die Positionen, die Zemmour heute vertritt. Und die französische Linke war vor fünfzig Jahren rechter als Zemmour heute. Meiner Einschätzung nach gab es die letzten Jahrzehnte einen politischen Linksruck in Frankreich, welcher Zemmour weit rechts erscheinen läßt.

Wer wird die Wahl gewinnen – Macron, wie die meisten glauben?

Lejeune: Das kann ich nicht sagen. Die Umfragen können sich, wie man bei Zemmour gesehen hat, sehr schnell ändern. Zwar ist nun der erste Wahlgang, der zweite aber erst 14 Tage später -- da kann noch alles mögliche passieren.

Was würden fünf weitere Jahre Macron für Frankreich bedeuten?

Lejeune: Ich glaube, Emmanuel Macron hat die französische Demokratie in den vergangenen fünf Jahren eingeschläfert. Beispielsweise mit den Corona-Maßnahmen. Er hat Frankreich entpolitisiert, und er verhindert, daß wieder mehr über politische Themen diskutiert wird, wie es in einer Demokratie sein sollte. Wie weitere fünf Jahre aussehen würden, weiß ich nicht, da er keine klare politische Linie verfolgt und es oft Diskrepanzen zwischen dem gibt, was er sagt und was er schlußendlich macht.






Geoffroy Lejeune, der Chefredakteur der Wochenzeitschrift Valeurs actuelles (Heutige Werte), geboren 1988, ist Kolumnist des staatlichen Parlamentsfernsehens sowie der privaten Radiosender Europe 1 und Sud Radio, zudem immer wieder Debattengast verschiedener TV-Nachrichtensender. 2015 veröffentlichte er den Roman „Une élection ordinaire“ (Eine gewöhnliche Wahl), eine Fiktion, in der Éric Zemmour Staatspräsident wird. Valeurs actuelles wurde 1966 als Börsenzeitschrift gegründet, gilt heute jedoch als rechtes Politmagazin. Während es manche Kritiker rechtsextrem nennen, gehört zu seinen Interviewpartnern auch Emmanuel Macron. 

 www.valeursactuelles.com

Foto: Konkurrenten Le Pen, Zemmour: „Er fühlte sich von der Rechten veraten und glaubt nicht mehr, daß Le Pen noch Wahlen gewinnen kann“