© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Elwira Nabiullina steht im Zentrum der fiskalischen Abwehrschlacht Putins gegen die westlichen Sanktionen.
Des Kremls Kämmerin
Björn Harms

Elwira Nabiullina hat derzeit wohl einen der schwierigsten Jobs in Rußland. Nach dem Angriff auf die Ukraine obliegt der Chefin der russischen Zentralbank die heikle Aufgabe, die umfassenden westlichen Sanktionen abzufedern. Und tatsächlich: Entgegen vielen Erwartungen ist es der Volkswirtin tatarischer Herkunft gelungen, den Rubelkurs zumindest vorübergehend wieder auf Vorkriegsniveau zu bringen. Um das Schlimmste zu verhindern, hob sie den Leitzins von 9,5 auf 20 Prozent, führte Kapitalverkehrskontrollen ein und verbot große Barbeträge abzuheben.

Seit mittlerweile neun Jahren steht Nabiullina, von der es heißt, sie sei die kompetenteste Person in der Kreml-Bürokratie, an der Spitze der Bank Rossii. Ihren Abschluß machte die heute 58jährige 1986 an der Moskauer Staatsuniversität, wo sie auch Ehemann Jaroslaw Kusminow kennenlernte, bis vor kurzem Rektor der renommierten Wirtschaftshochschule Moskaus. Durch marktwirtschaftliches Denken geprägt, gehörte Nabiullina früh zum Kreis um den einflußreichen Ökonomen Jewgeni Jasin, der als Wirtschaftsminister von Boris Jelzin die liberale Reform Rußlands entscheidend mitprägte. Nach dreijähriger Tätigkeit für den größten Unternehmerverband im Land begann ihre Karriere im Staatsapparat, die sie bis an die Spitze der Zentralbank führte.

Ihre Maßnahmen lassen aufmerken – wußte sie von dem Krieg? Denn sie bereitete Rußland auf die Probleme vor.  

Auf der internationalen Bühne war man schnell voll des Lobes. 2017 wählte das britische Magazin The Banker Nabiullina zur europäischen Zentralbänkerin des Jahres. Ihre Referenzen: Sie sorgte für die Schließung von rund 500 korrupten Banken, hielt die Inflation durch strenge Goldpolitik in Schach und führte einen freien Wechselkurs ein. Doch steckte Nabiullina bereits ebenso früh in einer Zwickmühle. Je mehr Putin den Staatsapparat ausweitete und die Liberalisierung rückgängig machte, um so stärker griff auch die Bank Rossii in den freien Markt ein. Inwiefern Nabiullina dabei Getriebene oder Antreiberin war, ist nicht geklärt. Fakt ist: Unter ihrer Führung erhöhte sich der Staatsanteil am Bankensystem schon im Herbst 2017 auf etwa 70 Prozent.

Auch andere ihrer Maßnahmen lassen aufhorchen: Seit 2014, dem Beginn des Krieges in der Ostukraine, verdreifachte sie den Goldbesitz der Zentralbank. Im Weißen Haus heißt es, Rußland verfüge nun über Gold im Wert von bis zu 140 Milliarden Dollar, was etwa 20 Prozent der Zentralbankreserven des Landes vor dem Angriff auf die Ukraine entspräche. Auch die internationalen Währungsreserven stiegen kontinuierlich auf 640 Milliarden Dollar. Wußte Nabiullina von dem bevorstehenden Einmarsch? Zumindest bereitete sie ihre Behörde auf größere Probleme vor. Schon 2021 ließ sie verlautbaren, die Zentralbank habe ein System von Maßnahmen entwickelt, das greifen würde, wenn die USA größere Sanktionen verhängen.

Im Kreml ging kürzlich das Gerücht um, sie wäre gerne zurückgetreten, da sie den Kriegskurs nicht unterstützt, Putin aber habe abgelehnt. Stattdessen bestätigte er seine Vertraute, die er öffentlich sogar mit Vornamen anspricht, im März in ihrer dritten Amtszeit. Wie so viele Mitarbeiter der Zentralbank scheint auch Elwira Nabiullina eine Art Gefangene der Umstände zu sein. Ihre wirtschaftsliberalen Ansichten spielen jetzt, da Rußland von einem Großteil der Welt abgeschnitten ist, kaum mehr eine Rolle.