© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Z wie Zerrüttung
Ukraine-Krieg: Der Konflikt spaltet Russen und Ukrainer in Deutschland / Die ersten russischen Flüchtlinge kommen in Deutschland an
Florian Werner

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wachsen auch hierzulande die Spannungen zwischen Ukrainern und Russen. Viele Russen blicken mit Sorge auf die in Deutschland ankommenden Kriegsflüchtlinge. Sie befürchten, von den Ukrainern für den Krieg verantwortlich gemacht zu werden, was manchmal auch tatsächlich geschieht. Da Russen und Ukrainer in Deutschland traditionell eng miteinander verbandelt sind, zieht sich dieser Riß durch Familien, Freundschaften und ganze Unternehmen. Es kommt zu Wortgefechten zwischen den Unterstützern des von Rußland als „Spezialoperation“ bezeichneten Krieges und ukrainischen Patrioten, aber auch zu Handgreiflichkeiten.

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat zuletzt darauf hingewiesen, daß inzwischen Hunderte solcher Vorfälle vorlägen. „Es gibt Straftaten sowohl gegen russischstämmige als auch gegen ukrainischstämmige Mitglieder unserer Gesellschaft“, erläuterte der BKA-Präsident Holger Münch die Situation. Rund 200 Delikte zähle die Polizei mittlerweile in einer einzigen Woche. Die Mehrzahl der Fälle sei anti-russischer Natur. Die Palette reiche von Schmierereien an Hausfassaden über Einschüchterungsversuche bis hin zu tätlichen Angriffen. Dabei reicht es oftmals schon aus, nur oberflächlich wie ein Russe zu wirken. Russische Eltern sollen ihren Kindern deshalb mittlerweile immer öfter verbieten, auf offener Straße in ihrer Muttersprache zu sprechen. Betroffen sind davon selbst Russen, die sich ehrenamtlich für ukrainische Flüchtlinge engagieren. „Unsere Mitglieder waren von Anfang an sehr engagiert. Aber viele sind durch die Ereignisse an ihre emotionalen Grenzen gestoßen“, betonte kürzlich Oxana Li im Gespräch mit der Welt. Ihr Verein sammelt derzeit Spenden, hilft bei Übersetzungen und vermittelt Unterkünfte für Ukrainer.

Allerdings gibt es hierzulande auch solche Russen, die sich die Sicht der Regierung in Moskau zu eigen gemacht haben. Das wird vor allem anhand des „Z“-Zeichens deutlich, das als Symbol des russischen Einmarsches in der Ukraine gilt und als solches immer öfter auch in Deutschland auftaucht – mal als Flagge in einer Kleingartenanlage, mal als Aufkleber auf der Heckscheibe eines PKWs und mal als Graffiti an der Bushaltestelle. Am Sonntag zog ein pro-russischer Autokorso mit rund 400 Fahrzeugen durch Berlin, bei dem laut Polizei eine Person wegen des Zeigens des Z-Symbols festgenommen wurde. In Berlin, aber auch in Sachsen, Bremen, Bayern und Niedersachsen steht das öffentliche Zurschaustellen des Zeichens bereits unter Strafe. Rechtswissenschaftler weisen allerdings darauf hin, daß das Zeigen des „Z“ auch ohne besondere Maßnahmen geahndet werden könne – nämlich als öffentliche Billigung eines Angriffskrieges. Im niedersächsischen Rinteln wird deshalb bereits gegen eine russischstämmige Familie ermittelt. 

„Für die Wissenschaft gibt es keine Zukunft in Rußland“

Der Streit um das „Z“ trägt allerdings auch skurrile Früchte. Jüngst geriet eine der vielen in Berlin aufgestellten Bärenskulpturen in die Schlagzeilen, weil auf der Statue das Alphabet – und eben auch dessen in Verruf geratener letzter Buchstabe – zu sehen ist. Neben den ukrainischen Flüchtlingen kommen aber auch solche aus Rußland. Oftmals handelt es sich dabei um junge Akademiker, Künstler, Journalisten und IT-Spezialisten, die den Krieg nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können und wegen dieser Haltung in ihrer russischen Heimat verfolgt werden. Das prominenteste Beispiel hierfür ist der Rap-Musiker Oxxxymoron, der sein Land schon kurz nach Beginn der Invasion verließ und seitdem mit Anti-Kriegs-Konzerten durch ganz Europa 

tourt. Genaue Zahlen darüber, wie viele Russen ihrer Heimat bereits den Rücken gekehrt haben, liegen nicht vor. Schätzungen gehen jedoch in die Tausende. Diese Flüchtlinge kommen auch nach Deutschland. Derzeit gäbe es „vermehrt Anfragen russischer Staatsangehöriger zu Visamodalitäten für die Einreise nach Deutschland“, wie das Auswärtige Amt vor kurzem mitteilte. Eine nach Deutschland ausgereiste Historikerin begründete ihren Schritt der Welt gegenüber mit der seit dem Krieg stark eingeschränkten Meinungsfreiheit. Laut Gesetzeslage könne man sie bis zu 40 Jahre lang inhaftieren, weil sie über Kriegsverbrechen der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg geforscht hatte. „Ich habe so viele Kollegen gesehen, die bis zu ihrem Lebensende im Gefängnis verschwunden sind“, erklärte die Wissenschaftlerin. Ihr sei mit Ausbruch des Krieges klar gewesen, daß sie fliehen müsse: Für die Wissenschaft gebe es keine Zukunft in Rußland.