© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Ländersache: Baden-Württemberg
Schluß mit den Papierbergen
Christian Schreiber

Digital statt analog, lautet künftig das Motto bei der Staatsanwaltschaft Ulm. Mit einem Pilotprojekt testet die baden-württembergische Landesregierung den schnellen Aktenaustausch zwischen Polizei und Justiz mit Hilfe einer besonderen „Datenautobahn Strafsachen“. Akten sollen künftig nicht mehr in Papierform, sondern nur noch elektronisch an die Beteiligten übermittelt werden. Das ganze Verfahren läuft so: Im Falle eines strafrechtlich relevanten Vorgangs legt die Polizei eine elektronische Ermittlungsakte an. Diese wird dann komplett digital geführt und mitsamt der digitalen Beweismittel über eine dafür entwickelte „Datenautobahn“ an die Staatsanwaltschaft geschickt. Die Behörde führt die Akte als elektronische Strafakte der Justiz weiter. „Als solche gelangt sie zu den Gerichten und in den dortigen Instanzenzug“, erklärt das baden-württembergische Justizministerium. 

Das Pilotprojekt ist in diesem Umfang bundesweit einmalig und soll viele Vorgänge vereinfachen. Nun könne man von überall und jederzeit ortsun­abhängig auf die Akteninhalte zugreifen, meinte Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) bei der Vorstellung des Projekts. Zudem würden die lästigen Papierakten wegfallen. Immerhin registriere allein die Poststelle des Ulmer Polizeipräsidiums täglich rund 50.000 Blatt Papier. „Mit Corona haben wir gesehen, wie wichtig es ist, im Homeoffice zu arbeiten. Mit der E-Akte können wir das nun gewährleisten“, ergänzte Peter Staudenmaier, Oberstaatsanwalt in Ulm. 

Bedenken von Datenschützern wischten die politisch Verantwortlichen vom Tisch. Dem „berechtigten Anliegen“ werde durch Verschlüsselungsverfahren Rechnung getragen. Der rechtlich wirksame Austausch elektronischer Dokumente erfolge nicht einfach per E-Mail, sondern mittels des Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfachs (EGVP). Die zu übertragenden Daten würden auf Senderseite ver- und erst beim Empfänger wieder entschlüsselt. Bis Juni wird nun in Ulm das Pilotprojekt getestet, bei dem über 100 Polizisten, sieben Staatsanwälte und acht Richter eingebunden sind. Auf die E-Akte sollen dazu künftig auch Verteidiger oder Nebenklagevertreter zugreifen können. Zudem soll die Akteneinsicht über ein Internetportal der Justiz für ganz Deutschland möglich werden. Die Kosten für das Ulmer Projekt bezifferte Justizministerin Marion Gentges (CDU) in der ersten Phase auf 1,5 Millionen Euro. Bis 2025 soll die E-Akte dann auch landesweit genutzt werden, weshalb pro Jahr weitere zehn Millionen Euro an Kosten hinzukommen würden. 

Für „Bagatell-Verbrecher“ wie Temposünder ist die E-Akte jedenfalls keine gute Nachricht. Viele eingeleitete Verfahren scheitern an der Verjährung. Dabei reicht es manchmal schon, daß ein Sachbearbeiter in Urlaub ist und die Akte liegenbleibt. Damit soll es nach dem Willen von Politik und Justiz nun vorbei sein. Allerdings gibt es bisher noch einige Kinderkrankheiten. Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Gundram Lottmann, glaubt zwar, daß die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter gefördert werden könne. Die verwendete Software sei allerdings noch fehlerhaft. Der Austausch funktioniere bislang nicht reibungslos, es komme immer wieder zu System-Abstürzen.