© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Katerstimmung
FDP: Finanzminister Christian Lindner steht durch die Folgen des Ukraine-Krieges und der Corona-Pandemie unter Druck
Jörg Kürschner

Vor einigen Jahren gab Wolfgang Schäuble (CDU), Alterspräsident des Deutschen Bundestags, folgende Weisheit zum Besten: „Regieren ist ein Rendezvous mit der Realität.“ An die Feststellung des CDU-Altmeisters dürften sich in diesen Tagen insbesondere Politiker der FDP erinnern, blicken sie doch mit einiger Frustration und Wehmut auf ihren erst Anfang Dezember unterzeichneten Koalitionsvertrag mit SPD und Grünen. 

Noch während der Koalitionsverhandlungen hatte FDP-Chef Christian Lindner, bis dato ohne Regierungsverantwortung, betont: „Die jetzt schon geplante Nettokreditaufnahme von 100 Milliarden Euro im kommenden Jahr halte ich, vorsichtig formuliert, bereits für auskömmlich. Ich kenne aber niemanden, der in Frage stellt, daß der erste Haushalt einer künftigen Koalition allen Anforderungen an Solidität genügen muß.“ Doch es kam bekanntlich anders.

Von den Versprechungen des FDP-Spitzenkandidaten vor der Wahl, mit ihm werde es „keine Steuer-

erhöhungen und keine weitere Staatsverschuldung“ geben, ist wenig übriggeblieben. Bereits Mitte Januar griff der frischgebackene Bundesfinanzminister in die haushaltspolitische Trickkiste. In seinem Entwurf für einen Nachtragshaushalt 2021 sollen 60 Milliarden Euro für den Klimaschutz umgeschichtet werden, die wegen der Corona-Krise 2021 als Kredite genehmigt, aber nicht aufgenommen wurden. Die Merkel-Regierung hatte aufgrund der Corona-Krise die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse außer Kraft gesetzt. Mit Corona-Kreditermächtigungen sollten Extrakosten zur Pandemiebewältigung gedeckt werden. 

Der alte Bundestag beschloß deshalb für das Jahr 2021 einen Nachtragshaushalt von 240 Milliarden Euro, von denen jedoch nur 180 Milliarden gebraucht wurden – 60 Milliarden Euro blieben übrig. Ungenutzte Corona-Gelder für den Klimafonds, um die Wahlkampfversprechen der Grünen zu erfüllen? „Verfassungsrechtlich zweifelhaft“, befand der Bundesrechnungshof. „Würde man eine solche pauschale Begründung als stichhaltig anerkennen, würde damit einer uferlosen Neuverschuldung der Weg bereitet.“ Die Unionsfraktion plant eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel hält den Nachtragshaushalt für „klar verfassungswidrig“. Dem Finanzminister ist die Umschichtung wichtig ob seines Versprechens ab 2023 die Schuldenbremse wieder einzuhalten. Diese erlaubt nur geringe neue Kredite. Zugleich hat sich die neue Bundesregierung hohe Investitionen in den Klimaschutz und die Digitalisierung vorgenommen.

Ende Februar rief Kanzler Olaf Scholz (SPD) aufgrund des Ukraine-Krieges die Zeitenwende aus, verbunden mit einem „Sondervermögen Bundeswehr“ zu deren besserer Ausstattung. Unverdrossen bleibt Lindner bei seiner Aussage, daß 2023 Schluß sein soll mit der Neuverschuldung. Was etwa die Wirtschaftsweisen für unwahrscheinlich halten.

Leichter hat es derzeit Justizminister Marco Buschmann

So macht die doppelte Krise, Pandemie und Ukraine, aus dem Ressortchef einen Krisenmanager, da zum Etat 2022 noch zusätzlich 25 Milliarden Euro Schulden aufgenommen werden, um direkte Kosten aus dem Ukraine-Krieg, wie etwa Unterbringungskosten für Flüchtlinge sowie die Energieentlastungspakete für die von der Inflation gebeutelten Bürger zu finanzieren. Drei Monate lang sollen reduzierte Steuersätze den Benzinpreis wieder unter die Zwei-Euro-Schwelle drücken. Allerdings: „Den Wohlstandsverlust kann auch der Staat nicht auffangen“, schränkt der Minister ein. Es dürfte schwierig werden, sich vor der nächsten Bundestagswahl 2025 als marktwirtschaftlicher Hüter solider Staatsfinanzen zu präsentieren. 

Leichter hat es derzeit sein Kollege und Freund, Justizminister Marco Buschmann. Gegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) setzte er das nahezu vollständige Ende der Corona-Einschränkungen durch. Doch die Liberalen könnten im Herbst in ein dunkles Loch blicken, zumal ihre Umfragewerte in den Ländern zurückgehen. Im Saarland hat die FDP vor zwei Wochen erneut den Einzug in den Landtag verpaßt, Anfang Oktober stehen in Niedersachsen Landtagswahlen an. Die FDP möchte wieder mitregieren, am ehesten wohl an der Seite von Landesvater Stephan Weil (SPD). Zwischen Harz und Heide könnte es zu einer weiteren Ampel-Koalition kommen. Bereits im Mai hat die FDP in Düsseldorf und Kiel zwei Regierungsbeteiligungen zu verteidigen. Während die Chancen in Schleswig-Holstein dafür nicht schlecht stehen, glaubt in Nordrhein Westfalen kaum noch jemand an eine Fortsetzung des schwarz-gelben Bündnisses. Die Umfragen sind seit langem eindeutig. In Zeiten, in denen Frauenpower als Ausweis politischer Kompetenz gilt, wird die FDP den jüngsten Abgang ihres Bundesvorstandsmitglieds Lenke Wischhusen bedauern. Die Chefin der Bremer Bürgerschaftsfraktion galt einst als Zeichen des Aufbruchs in der männerdominierten FDP. Ebenso wie ihre einstige Mitstreiterin Katja Suding, ehemals Hamburger Landeschefin, Bundestagsabgeordnete und Lindner-Vizin, die im Herbst den Politikbetrieb satt hatte, wie sie in ihrem jüngst erschienenen Buch („Reißleine“) festhielt. Zur Erinnerung. Die Ex-Generalsekretärin Linda Teuteberg war gerade mal 17 Monate im Amt, als Lindner ihr das Vertrauen entzog. Sorgen bereitet den Strategen im Hans-Dietrich-Genscher-Haus die Wählerstruktur der Partei. Dem Zuspruch bei jungen Wählern steht ein deutlicher Rückgang bei den Älteren gegenüber. Als kleinster Ampel-Koalitionspartner gilt es Profil zu zeigen im Miteinander mit SPD und Grünen, die sich politisch nahe sind. Mit dem Slogan „Nie gab es mehr zu tun“ waren die oppositionellen Liberalen in den Wahlkampf gezogen. Als Regierungspartei sind sie beherzt ans Werk gegangen, wenn auch der Krisenalltag anders ausfällt als erwartet. Ein Rendezvous, ein zwangloses Stelldichein also, war es sicher nicht.

Foto: Finanzminister Christian Lindner (FDP) spricht im Bundestag: „Keine Steuererhöhungen und keine weitere Staatsverschuldung“