© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Marine Le Pens Chancen steigen
Präsidentschaftswahl in Frankreich: In Umfragen festigt die Chefin des Rassemblement National ihren zweiten Platz
Friedrich-Thorsten Müller

Wer Marine Le Pen, die Präsidentschaftskandidatin des Rassemblement National (RN), in diesen Tagen bei Fernseh- oder Wahlkampfauftritten sieht, erlebt eine weitgehend entspannte Bewerberin. Sie hat ein rundes Programm vorgestellt, mit dem sie die „Entteufelung“ ihrer Partei weiter vorangebracht hat. Dazu hat sie eine wahre Ochsentour an Terminen absolviert, bei der sie noch einmal an Statur gewann. Laut einer Umfrage von Elabe für Les Echos haben inzwischen 35 Prozent der Wähler eine gute Meinung von ihr und nur 34 Prozent eine sehr schlechte. Vor fünf Jahren waren es noch 32 gegen 46 Prozent.

 Sämtliche Umfragen sehen sie für die französische Präsidentschaft inzwischen mit bis zu 23 Prozent sicher in der Stichwahl gegen Emmanuel Macron. Noch nie war sie ihm auch für diese in Umfragen so nah auf den Fersen: Sowohl das Institut Elabe als auch Opinion Way sehen sie bei 47 gegen 53 Prozent für den Amtsinhaber. Hinzu kommt, daß die 53jährige mit der Ankündigung, daß diese dritte Bewerbung um die Präsidentschaft im Falle einer Niederlage auch ihre letzte sei, jeglichen Druck von sich genommen hat.

Durch kluges Taktieren die Konkurrenz abgehängt

Dabei sah es zwischenzeitig immer wieder gar nicht rosig für sie aus. Die zweifellos größte Herausforderung für ihre Kampagne war das Auftreten des bekannten Journalisten und Rechtsintellektuellen Eric Zemmour. Bereits seit letztem Sommer. Le Pens Umfrageergebnisse schwankten plötzlich zwischen 27 und nur noch 13 Prozent. Ein weiterer Tiefschlag war dann die Unterstützung für Zemmour durch die im RN beliebte frühere Abgeordnete und Nichte Marine Le Pens, Marion Maréchal. Auch einige andere RN-Funktionsträger wechselten ins Lager des Parteigründers von Zemmours  „Reconquete“ (Rückeroberung). Es ist das eigentliche Kunststück ihrer Kandidatur, diesen Malus durch kluges Taktieren in Rückenwind umgewandelt zu haben. Sie begriff den Hardliner Zemmour als Chance, den „schwarzen Peter des bösen Rechten“ an jemanden anderen weiterzureichen. Plötzlich war es vor allem Eric Zemmour, der für migrations- und islamkritische Stimmung sorgte, so daß die Themen im Wahlkampf nicht vergessen wurden. Le Pen plazierte sich dagegen inmitten der anschwellenden Energiekrise als „Mutter der Nation“, die über die Kaufkraft der Franzosen wacht und Politik für die „kleinen, hart arbeitenden Leute“ machen möchte. Selbst für Katzenfotos war sie sich nicht zu schade, um unter dem Motto „La France qu’on M!“, das Frankreich, das wir lieben (wobei das M für lieben und für Marine steht), eine positiv aufgeladene Kampagne zu machen.

Daß man dem Rassemblement National im fünfzigsten Jahr seines Bestehens auch eine strikte Einwanderungspolitik und einen starken Rechtsstaat zutraut, versteht sich schließlich von selbst. Diese Botschaft überließ sie gerne ihrem 26jährigen Stellvertreter und Kronprinzen Jordan Bardella.

McKinsey-Affäre setzt Präsident Macron unter Druck 

Auch sonst ist das Programm Le Pens wohl noch nie so gut in der Mitte der Gesellschaft verankert gewesen. Alles sei seriös durchgerechnet und juristisch abgesichert, man könne „sofort loslegen“, so Le Pen gegenüber dem TV-Sender BFM. Sie meint damit zum Beispiel die Einstufung von Energie als „täglichen Bedarf“, die einer ermäßigten Mehrwertsteuer von 5,5 statt 20 Prozent zu unterliegen habe, was 12 Milliarden Euro jährlich kosten solle. Oder den Verzicht auf die geplanten, umstrittenen, schwimmenden Windparks vor Frankreichs Küsten. Der Energiemix solle sich weitgehend auf Atomkraftwerke und die heute in Frankreich im Vergleich zu Deutschland schon viermal so wichtige Wasserkraft beschränken. 

Das in privater Hand befindliche Autobahnsystem solle dagegen verstaatlicht werden, um die Nutzungskosten für die Bürger deutlich senken zu können. Die Rundfunkgebühren würden im Gegenzug durch eine Privatisierung der Sender abgeschafft werden. Die Frage der weiteren Einwanderung nach Frankreich, sowie die nach der Einführung des Verhältniswahlrechts, möchte Le Pen darüber hinaus zum Gegenstand von Volksabstimmungen machen. Europa – und wie es mit der EU weitergehen soll – kommt hingegen im Großgedruckten der aktuellen Wahlprogrammatik gar nicht erst zur Sprache. Ein EU-Austritt steht bei dieser Wahl für den RN in jedem Fall nicht zur Debatte.

Und die Konkurrenz? Es sind hausgemachte Probleme, die Präsident Emmanuel Macron nun auf der Zielgerade in ernstliche Schwierigkeiten bringen. Er verließ sich lange darauf, nur seinen Amtsbonus in die Waagschale werfen zu müssen. Er verweigerte strikt jede Teilnahme an Fernsehdebatten mit den übrigen Bewerbern. Er beschränkte sich darüber hinaus auf eine zentrale Wahlkampfveranstaltung – diese aber immerhin mit 30.000 Teilnehmern in Paris/La Défense  – was ihm mancher Franzose als Arroganz auslegt. Hinzu kommt zur Unzeit die Enthüllung, daß ihm vor der letzten Wahl Berater von McKinsey unentgeltlich geholfen haben sollen. Es steht im Raum, daß sie dafür im Zuge der Corona-Krise mit bis zu einer Milliarde Euro staatlichen Beraterverträgen belohnt wurden. Auch die von Macron angekündigte Rente mit 65 statt 62, von der Le Pen absieht, ist in Frankreich so notwendig wie unpopulär. Da hilft auch nicht, wenn Macron Le Pen und Zemmour zum „Tandem“ erklärt, weil letzterer zwischen den Wahlgängen bereits eine Absprache mit der RN-Vorsitzenden angekündigt hatte. 

Egal, wie die Präsidentschaftswahl ausgeht, bleibt die spannendste Frage, ob der gewählte Präsident 63 Tage später, bei der Parlamentswahl, eine handlungsfähige Mehrheit zusammenbekommt. Marine Le Pen möchte diese durch eine parteiübergreifende „Union aller, die Frankreich lieben“ für sich erreichen. Bei aufgrund des Mehrheitswahlrechts bisher sieben von 577 Abgeordneten und einer immer noch, zumindest in den Hinterköpfen, fortbestehenden „Republikanischen Front“ gegen den RN, ist dies eine kaum lösbare Aufgabe.

 Interview Seite 3

Foto: Eine Wahlkampfhelferin Marine Le Pens: „Marine Präsidentin – Die Staatsfrau“