© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Bewiesene Anzeichen?
Ukraine-Krieg: Der Westen macht Moskau für das Butscha-Massaker verantwortlich, droht mit Sanktionen und unterstützt Untersuchungen
Jörg Sobolewski

Die Entdeckung ukrainischer Leichen in dem Kiewer Vorort Butscha hat international zu heftigen Reaktionen geführt. Die ukrainische Regierung beschuldigte den russischen Kriegsgegner, für das Massaker verantwortlich zu sein, und veröffentlichte Satellitenbilder des Unternehmens Maxar Technologies, das Satellitenbilder der Ukraine sammelt und veröffentlicht. Dort, so die ukrainische Regierung, seien „erste Anzeichen eines Massengrabes“ bereits am 10. März zu sehen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wandte sich entsprechend in einer Videobotschaft direkt an die Bevölkerung im Nachbarland. Es werde „der Tag kommen, an dem alle Russen sehen könnten, wer von ihren Nachbarn an Mord und Folter beteiligt“ gewesen sei. 

Selenskyj forderte Medienvertreter aus dem Ausland dazu auf, den Ort zu besuchen, die Welt solle „sehen, was Rußland getan“ habe. Der Bürgermeister des Vororts, Anatoliy Fedoruk, sprach von 280 Todesopfern, die unter anderem in einem Massengrab bestattet worden seien. Nach Angaben der Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa wurden aus den Gebieten rund um die Hauptstadt Kiew 410 Leichen getöteter Zivilisten zu gerichtsmedizinischen Untersuchungen abtransportiert.

Infolge griff die EU Kommission die russische Regierung in einem Statement scharf an, Rußland führe „einen Krieg gegen die ukrainische Bevölkerung“, die Übergriffe würden in die „Geschichte der Grausamkeiten auf europäischem Boden“ eingehen. 

„Hierfür ist die russische Regierung verantwortlich, denn dieses Gebiet war unter ihrer Kontrolle, als die Greueltaten begangen wurden“, betonte der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell. Brüssel werde sowohl die Ermittlungen zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit  des Internationalen Strafgerichtshof als auch der ukrainischen Seite zur Spurensicherung und Strafverfolgung vor Ort unterstützen. Man werde an zusätzlichen Sanktionen arbeiten, um Rußland zur Beendigung des Krieges zu zwingen. 

Die baltische Republik Litauen kündigte an, vollständig auf russisches Gas zu verzichten; Präsident Gitanas Nauseda forderte seine Amtskollegen in der EU dazu auf, dem Beispiel seines Landes zu folgen. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron kündigte an, sich für ein Öl- und Gasembargo gegen Rußland einzusetzen. Premierminister Boris Johnson beschuldigte die russische Seite, „Kriegsverbrechen“ zu begehen und fügte hinzu, die Vorfälle könnten nicht verbergen, daß „Rußland den Krieg verlieren“ werde.

Parallel dazu forderte US-Präsident Joe Biden einen Kriegsverbrecherprozeß gegen seinen russischen Amtskollegen Putin, dieser müsse „zur Rechenschaft gezogen werden“, Untersuchungen müßten alle Details dokumentieren, damit ein Prozeß zustande kommen könne. Derweil forderte die Uno-Menschenrechtsbeauftragte Michele Bachelet eine unabhängige und effiziente Untersuchung, um „Wahrheit, Verantwortlichkeit und Gerechtigkeit“ feststellen zu können. 

Moskau weist Verantwortung für das Massaker von sich 

Chinas Außenminister Wang Yi bekräftigte indessen in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba, daß die Volksrepublik eine „konstruktive“ Rolle für die Friedensgespräche einnehme. Kuleba dankte in einem Tweet seinem Gesprächspartner für die „Solidarität mit den zivilen Opfern“, ein schnelles Ende des Krieges sei im Interesse des globalen Friedens und der globalen Ernährungssicherheit. 

Moskau dagegen weist die Verantwortung für das Massaker in Butscha von sich. Die Foto- und Filmaufnahmen seien „eine weitere Provokation“ der Regierung in Kiew, so das russische Verteidigungsministerium. Es handle sich dabei um eine „Schauspielaktion“, die auf Wunsch der USA zustande gekommen sei, so die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. Während der russischen Besetzung der Stadt sei „kein Zivilist zu schaden gekommen“. Moskau kündigte an, die Angelegenheit im UN-Sicherheitsrat besprechen zu wollen.