© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Werden die Sparer bei 7,5 Prozent Inflation und Nullzinsen enteignet?
Schockwelle voraus
Reiner Osbild

Eine Zahl, die Angst auslöst: 7,5 Prozent Inflation in der Eurozone meldet Eurostat. Die Kaufkraft der Ersparnisse schmilzt dahin wie Eis in der Sonne. Kann es da beruhigen, wenn einige Ökonomen sagen, die Deutschen seien davon gar nicht so stark betroffen? Sie hätten Teile ihrer Ersparnisse in Aktien und Immobilien angelegt. Deren reale Renditen seien seit 2008 im europäischen Vergleich recht hoch gewesen. Allerdings: Der Untersuchungszeitraum endet 2018. Bis dahin sorgte eine Kombination aus steigenden Immobilienpreisen und moderaten Inflationsraten in der Tat für auskömmliche reale Durchschnittsrenditen.

Ein Großteil der Renditen sind Buchgewinne auf erworbene Immobilien, die zudem zinsgünstig finanziert wurden. Indes müssen solche Gewinne irgendwann realisiert werden. Reichen Mieten und Dividenden nicht mehr aus, um die Rente aufzubessern, dann müssen Aktien, Fonds und Immobilien veräußert werden – in einer alternden Gesellschaft ein naheliegendes Szenario, um etwa Pflegekosten abzudecken. Ein Zwischenschritt ist die Reinvestition in risikoärmere Anlageformen (Festgeld, Auszahlpläne, Versicherungen, mündelsichere Anleihen), will man nicht von einem Börsen- oder Immobiliencrash auf dem falschen Fuß erwischt werden. Doch ihr Realwert wird von der Inflation und Strafzinsen aufgefressen.

Viele Sparformen, die einst gute Renditen brachten, sind von der Geldentwertung bedroht. Aktien und Immobilien werden überwiegend von wohlhabenderen Haushalten erworben, während das Bankguthaben eher den weniger gut betuchten als Sparmedium dient. Jene weisen oft eine geringere Risikoneigung auf. Zudem ist ihnen der Weg zu Krediten für den Hauskauf oftmals verstellt. Dies alles hindert diese Sparer daran, risiko- und ertragreicher anzulegen. Die Folge ist eine niedrigere reale Rendite. Damit werden die unteren Teile der mittleren Einkommensschichten besonders stark gebeutelt. Entlastet werden hingegen die reicheren Haushalte, die sich eine Kreditfinanzierung leisten können. Entlastet wird auch der Staat, der – wie im Falle Deutschlands – 2,32 Billionen Euro an ausstehenden öffentlichen Schulden zu sinkenden Realzinsen refinanzieren kann.

Dem Sparer ist nicht geholfen mit dem Hinweis auf historisch rentablere Anlageformen als Festgeld & Co. Die Empfehlung, der Inflation durch Aktien und Immobilien zu begegnen, gleicht einem Rat, den hohen deutschen Steuern durch Auswanderung in ein Niedrigsteuerland auszuweichen. Auch dies ist praktisch nur wenigen möglich. Insofern muß man resümieren: Die Inflation belastet die Sparer so oder so, vor allem die ärmeren Sparer, sie belastet reichere Menschen viel weniger und entlastet sogar hoch verschuldete Staaten und Unternehmen.

Daran ändern auch zwischenzeitliche rechnerische Renditen auf Aktien und Immobilien nicht viel. Zumal sich das Risiko erst dann in voller Schärfe zeigt, wenn die Immobilienblase platzt und die Aktienmärkte aus der Seitwärts- in die Abwärtsbewegung drehen. Bedenkt man, daß Bezieher von Altersrenten und Grundsicherung sich kaum der Inflation entziehen können, daß der Arbeitnehmer in ungeahnte Progressionsstufen aufsteigt und übermäßig hohe Einkommensteuern entrichten muß, dann verbleibt als Fazit: Nichts ist so unsozial wie eine Inflation, die die Vermögen von unten nach oben umverteilt.






Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ökonom und Ordinarius an der Hochschule Emden/Leer.