© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Die Folgen der politischen Hybris
Europäische „Währungsschlange“: Unser geldpolitisches Verhängnis begann schon vor 50 Jahren
Joachim Starbatty

Es ist gut möglich, daß uns nach Corona und dem Ukraine-Krieg eine dritte Welle trifft, weil die Eurozone auseinanderbricht oder die Inflation außer Kontrolle gerät. Das Basler Abkommen vom 10. April 1972 war hierzu der Anfang. Die sechs Gründungsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) – Italien, Frankreich, Benelux, Deutschland – verpflichteten sich, ihre Währungen im Wechselkursverbund in einer Bandbreite von +/-2,25 Prozent zu halten. Im Januar 1973 kamen das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark dazu.

Gegenüber dem Rest der Welt waren die Wechselkurse flexibel, so daß sich das Bild einer Währungsschlange ergab. Um ihre Währungen in der Bandbreite zu halten, mußten sich die Mitgliedstaaten in ihrer Geldpolitik am Standard in der Währungsschlange orientieren. Hierzu waren aber nicht alle bereit, zumal sie im Zuge der ersten Erdölkrise (1973/74) unterschiedliche Ansätze verfolgten, um mit den Folgen fertig zu werden. So stieg ein Land nach dem anderen aus, Frankreich sogar zweimal.

Der französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing und Kanzler Helmut Schmidt starteten 1979 mit dem Europäischen Währungssystem (EWS) einen neuen Versuch. Es war ein komplexes System, das als wesentliche Elemente ein Paritäten-Gitter mit einer Bandbreite von +/-2,25 Prozent, bilaterale Interventionen und eine Änderung der Paritäten nur bei einstimmigem Beschluß vorsah. In Deutschland war kritisiert worden, daß bei Erreichen der Interventionspunkte auch das Starkwährungsland eingreifen müsse, weil so eine auf Geldwertstabilität ausgerichtete Geldpolitik aufgeweicht würde.

Doch es kam anders. Wenn im EWS die D-Mark kriselte, sprangen die Partner-Zentralbanken für die Bundesbank ein, um bei eigener Schwäche über genügend Reserven an D-Mark zu verfügen. So wuchs die D-Mark zur Leitwährung heran. Doch blieben Auf- und Abwertungen einzelner Staaten nicht aus. Wegen der Dominanz der Bundesbank sprachen die Franzosen von einem „D-Mark-Imperialismus“. Die Situation spitzte sich zu, als die Bundesbank Anfang der neunziger Jahre wegen inflatorischer Tendenzen im Zuge des Booms nach der Wiedervereinigung die geldpolitischen Zügel anzog.

Das war für einige EWS-Staaten Gift, weil sie Konjunkturschwächen zu bekämpfen hatten. Die Briten, Italiener und Spanier stiegen aus, während Frankreich die Bundesbank zur Änderung ihres Kurses drängen wollte. Als die Bundesbank nicht nachgab, wäre es 1993 im EWS fast zu einem Bruch gekommen, doch einigte man sich schließlich auf eine Ausweitung der Bandbreiten auf +/-15 Prozent, damit die nationalen Zentralbanken einen weiteren geldpolitischen Spielraum hätten.

Und jetzt geschah etwas Denkwürdiges: Die Vorwürfe an die Adresse der Bundesbank blieben aus, weil jetzt eine abweichende Geldpolitik und auch Abwertungen innerhalb des EWS möglich waren. Die Wechselkurse blieben stabil, weil sich die Zentralbanken ohne Wenn und Aber an den Beschlüssen der Bundesbank orientierten. Frankreich reihte sich klaglos ein, weil es erwartete, daß bei Schaffung einer gemeinsamen Währung nicht mehr die Bundesbank dominierte, sondern ein Gremium, in dem Frankreich faktisch die Führung übernehmen würde. Paris mußte nur die Durststrecke bis zur Gründung der Euro-Währungsunion (EWU) 1999 durchstehen.

Die Bundesbank hat nun im Zentralbankrat der EZB nur noch eine Stimme wie Luxemburg oder Malta. Die überschuldeten Mitgliedstaaten unter Führung Frankreichs und Italiens haben die Mehrheit. Auf Geheiß der Politik hält die EZB die überschuldeten Südländer über verdeckte Staatsfinanzierung und Nullzinspolitik in der Eurozone. Deswegen hat sie auch nicht beizeiten die aufkommende Inflation bekämpft. Sie zögert immer noch. Und wenn sie sich schließlich dazu entschließen sollte, ist es zu spät. Sollte sie im Herbst den Zins um einen halben Prozentpunkt, wie vermutet, anheben, wird die Inflation darüber hinwegrollen – auch über den nächsten Zinsschritt.

Die EZB müßte längst schärfer zupacken, doch wären dann die überschuldeten Euro-Staaten konkursreif. Da EZB und Politik davor zurückschrecken, müssen wir Bürger mit Inflation rechnen. Aber hatten nicht Auf- und Abwertungen in der Währungsschlange und dem EWS lange gezeigt, daß Währungen unterschiedlicher Qualität nicht zusammenpassen? Die Politiker glaubten, ökonomische Gesetze außer Kraft setzen zu können. Diese politische Hybris müssen nun Europas Bürger ausbaden.