© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

„Dieses Land, immer noch zwei Teile“
„Scheiß Wessis“ und „Scheiß Ossis“: Die Toten Hosen und der Rapper Marteria spielen mit deutsch-deutschen Klischees
Florian Werner

Was der Rostocker Rapper Marteria (39) und Die Toten Hosen aus Düsseldorf mit Frontmann Campino (59) mit ihren kürzlich parallel veröffentlichten Singles und Videos „Scheiß Ossis“ & „Scheiß Wessis“ vorgelegt haben, darf als Versuch einer deutsch-deutschen Verständigung angesehen werden. Der Gedanke hinter den beiden Songs ist einfach. Während die westdeutschen Punker („Eisgekühlter Bommerlunder“, „Tage wie diese“) in „Scheiß Wessis“ sämtliche Stereotype über Westdeutsche persiflieren, witzelt der ostdeutsche Hip-Hopper („Lila Wolken“, „Paradise Delay“) über Vorurteile Ostdeutschen gegenüber. Am Ende der beiden augenzwinkernden Tracks soll so etwas wie Versöhnung zwischen Ost und West herauskommen. „Dieses Land, immer noch zwei Teile, laß das mal ändern, ist doch scheiße“, spittet etwa Marteria in seinem Song.

Ost-West-Konflikt ins Lächerliche gezogen

Musikalisch bleiben sich die Künstler bei diesem Projekt durchaus treu. Während die Toten Hosen ihren altbekannten Biersound zum Besten geben, reimt Marteria seinen Part in gewohnt assoziativer Weise zusammen: „Ja, der Campingplatz brennt, Bier vor Talent. Uns hat der Westen verpennt, Asbest as you can“. Die Musikvideos bestechen durch eine bunt gemischte Besetzung, darunter Roberto Blanco, Katarina Witt und Cem Özdemir. Auf der deutsch-deutschen Therapiesitzung wird deutlich, daß die Wiedervereinigung zumindest zwischen den Prominenten vollauf geglückt ist. Die Künstler, Sportler und Politiker albern vor laufender Kamera herum und zerstreuen so die Sorgen vor der Mauer in den Köpfen. Man merkt, daß die beiden Songs nicht das erste gemeinsame Projekt von Marteria und den Toten Hosen sind. Bereits im Jahr 2012 sinnierten sie über deutsche Befindlichkeiten in dem Stück „Ballast der Republik“.

Ob sie mit ihrer neuen EP den richtigen Ton getroffen haben, darf indes bezweifelt werden. Die musikalisch inszenierte Wiedervereinigung wirkt wie stellenweise eine Clownerie. Wenn die Toten Hosen ihre westdeutsche Herkunft mit den Worten besingen „lesen die Bild, aber nur das Feuilleton“, dann zeichnen sie damit eine groteske Karikatur von sich selbst. Marteria tut im Wesentlichen dasselbe, wenn er den Ostdeutschen das Motto „Wir randalieren im Sonderzug nach Pankow“ andichtet. Dadurch wird der innerdeutsche Ost-West-Konflikt ins Lächerliche gezogen.

Daß sich die Musiker nicht ernsthaft mit dem Thema beschäftigen können, ist aber eigentlich kein Wunder. Sowohl Marteria als auch Campino haben sich im Laufe ihrer Karriere den Ruf politisch weit links stehender Künstler erarbeitet. Mit Nationalgefühl und deutscher Identität ist es in diesen Kreisen nicht weit her. Das hat zur Folge, daß die Musiker in ihren Songs eigentlich nur Karikaturen von Wessis und Ossis miteinander versöhnen. Schon in dem Track „Ballast der Republik“ hatten sie ein vollkommen überzeichnetes Bild der deutschen Teilung entworfen: „Die einen saufen Coca Cola, die anderen fressen Mauerstein, hier feiert man Wirtschaftswunder und da den 1. Mai.“ Das Fazit könnte an dieser Stelle also durchaus lauten: Thema verfehlt.

Allerdings läßt sich kaum abstreiten, daß die Lieder trotz ihrer Oberflächlichkeit einen handfesten Ohrwurmcharakter besitzen. Das volkstümliche Gegröle der Toten Hosen und Marterias anarchische Texte sind seit Jahren Kassenschlager. Man kommt deshalb nicht umhin, über die einzelnen Strophen zu schmunzeln und leise mitzusingen: „Hurra, hurra/ Wir scheiß Ossis versauen euch den Tag“ – „Hurra, hurra/ Wir scheiß Wessis machen immer alles klar“.

Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß die Toten Hosen und Marteria am Ende mit ihrer innerdeutschen Mission Erfolg haben werden. Sind doch ihre beiden Tracks so eingängig und unterhaltsam, daß sich ihre Botschaft fast spielend überträgt. In dieser Woche sind die beiden Titel in den deutschen Singles-Charts auf den Plätzen fünf und sechs eingestiegen.