© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Zwischen allen Fronten
Im Kreuzfeuer der Kritik: Die weltberühmte russische Opernsängerin Anna Netrebko will zurück auf die Bühne
Thorsten Thaler

Auf dem Programm stehen Meisterwerke der italienischen Oper von Verdi über Ponchielli und Cilea bis zu Puccini. Vorgetragen werden sollen sie von der russischen Sopranistin Anna Netrebko und ihrem aserbaidschanischen Ehemann Yusif Eyvazov am 7. September in der Hamburger Elbphilharmonie. Doch ob es dazu kommt, ist fraglich. Kultursenator Carsten Brosda hat sich gegen den geplanten Auftritt der weltberühmten Opernsängerin ausgesprochen. Er glaube nicht, daß es gut wäre, wenn dieses Konzert stattfindet, sagte der SPD-Politiker und Präsident des Deutschen Bühnenvereins vorigen Freitag dem Hamburger Abendblatt. Die jüngste Distanzierung der Sängerin von Rußlands Präsident Putin halte er für nicht glaubwürdig. 

Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine steht Anna Netrebko wegen ihrer angeblichen Nähe zu Putin im Kreuzfeuer der Kritik. So gehörte sie 2012 zu jenen 500 russischen Künstlern, Wissenschaftlern und Sportlern, die Putin kurz vor der Präsidentenwahl als seine Unterstützer und Fürsprecher präsentierte. 2014 spendete sie einem prorussischen Separatistenführer in der Ostukraine umgerechnet rund 15.000 Euro für Künstler und die Oper in Donezk. Und ihren 50. Geburtstag feierte sie im vergangenen September mit einer Gala im Kreml.

In einer ersten Stellungnahme auf Instagram hatte sie zwar den Krieg bedauert, sich aber nicht namentlich von dem Kreml-Herrscher distanziert. Zahlreiche Opernhäuser und Konzertveranstalter hatten deswegen die Zusammenarbeit mit ihr bis auf weiteres auf Eis gelegt. Netrebkos deutsches Management, die Berliner Agentur Centre Stage Artist, trennte sich ebenfalls von ihr.

Vorige Woche nun ließ sie über ihren deutschen Anwalt Christian Schertz erklären, sie verurteile den Krieg gegen die Ukraine „ausdrücklich, und meine Gedanken sind bei den Opfern dieses Krieges und ihren Familien“. Sie sei „weder Mitglied einer politischen Partei, noch bin ich mit irgendeinem Führer Rußlands verbunden. Ich erkenne und bedauere, daß meine Handlungen oder Aussagen in der Vergangenheit zum Teil falsch interpretiert werden konnten. Tatsächlich habe ich Präsident Putin in meinem ganzen Leben nur eine Handvoll Mal getroffen, vor allem im Rahmen von Verleihungen von Auszeichnungen für meine Kunst oder bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Sie habe ansonsten nie finanzielle Unterstützung von der russischen Regierung erhalten.

Abschließend heißt es in der Erklärung: „Ich liebe mein Heimatland Rußland und strebe durch meine Kunst ausschließlich Frieden und Einigkeit an.“ Ende Mai wolle sie ihre Opern- und Konzerttätigkeit in Europa wieder aufnehmen.

Zunächst jedoch kassierte Anna Netrebko eine weitere Ausladung – nun auch in Rußland. Die Oper im sibirischen Nowosibirsk teilte mit, daß ihr dort für den 2. Juni angesetztes Galakonzert ausfallen werde. Grund: Sie habe ihr Heimatland verraten. „Das Leben in Europa und die Möglichkeit, auf europäischen Bühnen aufzutreten, sind für sie wichtiger als das Schicksal der Heimat“, hieß es in der Mitteilung des Staatlichen Akademischen Theaters für Oper und Ballett. „Unser Land ist reich an Talenten, und die Idole von gestern werden durch andere ersetzt, die eine klare staatsbürgerliche Haltung haben.“

Die New Yorker Oper zeigt sich weiterhin reserviert

Doch auch in Europa bleibt ungewiß, wie sich die Karriere der Sängerin fortsetzt. Ihre geplanten Auftritte im Juni und Juli in Berlin in einer Neuproduktion von „Turandot“ hatte die Staatsoper Unter den Linden bereits gecancelt. Ein für den 2. Juli in Wien angesetztes Konzert mit ihr ist auf den Herbst 2023 verschoben worden. Die New Yorker Metropolitan Opera (Met) will ebenfalls von einer Zusammenarbeit vorerst nichts wissen. Operndirektor Peter Gelb erklärte laut New York Times, ihm reiche die Erklärung Netrebkos nicht aus. Er sei erst bereit für ein Gespräch, wenn sie sich ernsthaft, komplett und langfristig von Putin distanziert habe. Zur Erinnerung: Als George W. Bush mit seiner „Koalition der Willigen“ im Frühjahr 2003 unter einem erlogenen Vorwand den Irak angriff, brillierten in der gleichen Opernspielzeit die US-amerikanischen Star-Sopranistinnen Renée Fleming in Verdis „La Traviata“ und Deborah Voigt in Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ auf der Met-Bühne.

Nach derzeitigem Stand stattfinden werden einzig Netrebkos Konzerte gemeinsam mit ihrem Mann in Luzern am 5. Juni und am 22. Juli bei den „Thurn und Taxis“-Schloßfestspielen in Regensburg. 

Foto: Anna Netrebko: Mit keinem Führer Rußlands verbunden