© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Unter Gesichtswahrung das Schlachtfeld verlassen
Putins Begriff vom Krieg
(ob)

Wer sich, wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, Machtpolitiker des Formats Wladimir Putin nur als „Wahnsinnige“ vorstellen könne, „hat vom Leben und seinen Möglichkeiten nichts verstanden“. Aber solche kindischen Deutungsmuster, so urteilt der Osteuropahistoriker Jörg Baberowski (HU Berlin), seien typisch für eine politische Klasse, die seit langem „völlig ausblendet, daß nicht die anderen, sondern wir selbst in der Ausnahme, in einem befriedeten Raum leben, in dem nur noch Scheinprobleme einer satten und selbstgerechten Gesellschaft verhandelt“ würden, die jenseits unserer Grenzen keinen Menschen interessierten (Philosophie Magazin, 3/2022). Lege man hingegen überall außerhalb Deutschlands gültige Maßstäbe an Putins Handeln an, so lasse er sich nicht Hasardeuren und suizidalen Charakteren wie Hitler oder Saddam Hussein zuordnen, die bereit waren, den Rest der Welt mitzunehmen, wenn sie untergehen. Das Vorgehen des russischen Präsidenten gegen die Ukraine scheine vielmehr von rationalen Erwägungen diktiert. So spreche einiges dafür, daß Putin, der ein Politiker sei, der kühl kalkuliere, diesen von ihm falsch eingeschätzten Krieg als einen „Wettstreit ansehe, den man beenden muß, wenn man nicht gewinnen und unter Gesichtswahrung das Schlachtfeld verlassen kann“. 


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