© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

„Schlagt Hitler, wählt Hindenburg!“
Im April 1932 wurde Hindenburg mit Stimmen von SPD und DDP zum Reichspräsidenten gewählt
Gregor Maurer

Am 10. April 1932 wird der amtierende Reichspräsident Paul von Hindenburg im zweiten Wahlgang mit 53 Prozent der Stimmen erneut zum Staatsoberhaupt der Weimarer Republik gewählt. Dieses Mal allerdings unter ganz anderen parteipolitischen Konstellationen als noch 1925. Die entscheidenden Stimmen kamen nämlich von republikanischen und sozialdemokratischen Wählern, während die DNVP mit Theodor Duesterberg (nur im ersten Wahlgang), die NSDAP mit Adolf Hitler sowie die KPD mit Ernst Thälmann eigene Kandidaten ins Rennen geschickt hatten. Damit spiegelte die Wiederwahl des Siegers von Tannenberg die paradoxen politischen Verhältnisse Weimars wider. 

Die früheren Gegner des konservativen Feldmarschalls, also SPD, Zentrum und DDP, unterstützten ihn nun nolens volens, um Hitler zu verhindern. So sprach sich der preußische Ministerpräsident Otto Braun (SPD), bei den Reichspräsidentenwahlen 1925 noch Gegenkandidat Hindenburgs, vehement unter der Parole „Schlagt Hitler, wählt Hindenburg“ für dessen Wahl aus. Braun betonte im SPD-Parteiorgan Vorwärts vom 10. März 1932 die „Mannestreue und hingebende Pflichterfüllung für das Volksganze“ sowie die Verläßlichkeit und das abgeklärte Urteil des amtierenden Reichspräsidenten. 

Hindenburg vergrätzte, daß seine Kameraden für Hitler stimmten

Dennoch verfehlte dieser zunächst im ersten Wahlgang mit 49,6 Prozent der Stimmen äußerst knapp die erforderliche absolute Mehrheit. Aber auch Hindenburgs Sieg in der zweiten Runde, in der Hitler zwar 36,8 Prozent auf sich vereinigen konnte, aber dennoch klar scheiterte, verdroß ihn sehr. Der alte Herr konnte seine große Enttäuschung darüber, daß ein Teil seiner früheren Kameraden von DNVP und Stahlhelm – so hatte beispielsweise Generaloberst von Seeckt sich öffentlich für Hitler ausgesprochen – nicht ihn, sondern eben Hitler gewählt hatten und er nur mit Hilfe der SPD den Sieg einfuhr, nicht verwinden. Tatsächlich konnte Hitler vom Ausscheiden des Deutschnationalen Duesterberg deutlich stärker profitieren als Hindenburg. 

Dieser Frust führte mit zur Verschlechterung seines Verhältnisses zu Reichskanzler Heinrich Brüning, der sich im Wahlkampf intensiv für Hindenburg eingesetzt und um die Unterstützung durch die drei Parteien der demokratischen Mitte bzw. der demokratischen Linken geworben hatte. Die Reichspräsidentenwahlen von 1932 waren also ein weiteres Symptom der zunehmenden politischen Polarisierung zwischen Rechts- und Linksradikalen (also NSDAP und KPD), in der die demokratische Mitte nicht mehr zur Wahl stand und der höchste Repräsentant der Republik, nach dem Geist der Weimarer Reichsverfassung deren unparteiischer Bewahrer, Gegenstand tagespolitischer Auseinandersetzungen wurde. 

War Hindenburgs Wahl beziehungsweise Wiederwahl zum Reichspräsidenten nun einer von zahlreichen Sargnägeln der Weimarer Republik, war er wirklich der Steigbügelhalter Hitlers? Blicken wir kurz zurück. Der am 2. Oktober 1847 in Posen geborene Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg wurde 1911 nach einer erfolgreichen militärischen Karriere als General in den Ruhestand verabschiedet, allerdings mit Beginn des Ersten Weltkriegs als Oberbefehlshaber der 8. Armee in Ostpreußen reaktiviert. Hier gelang es ihm, die ins Reich eingebrochene Armee der „russischen Dampfwalze“ in der Schlacht bei Tannenberg Ende August 1914 vernichtend zu schlagen und somit Deutschland vor einer weiteren Besetzung durch Rußland zu bewahren. Doch auch als Generalfeldmarschall und Chef der Obersten Heeresleitung konnte er die deutsche Niederlage nicht verhindern, besaß aber Verantwortung genug, die Grenzen der deutschen Belastungsfähigkeit zu erkennen und der Reichsregierung den Waffenstillstand nahezulegen. 

Mit Abschluß des Versailler Vertrages im Juni 1919 gewährte Reichspräsident Friedrich Ebert Hindenburg auf dessen Wunsch den Abschied. Sein Ruhestand währte allerdings nur knapp sechs Jahre, denn im Zuge der Reichspräsidentenwahl 1925 (nach dem Tod Eberts) schloß sich für ihn eine politische Karriere an. Nachdem beim ersten Wahlgang am 29. März 1925 kein Kandidat eine absolute Mehrheit erreicht hatte – der Kandidat des konservativen Reichsbürgerblocks Karl Jarres erhielt mit 10,8 Millionen Stimmen nur die relative Mehrheit –, fragten die bürgerlich-konservativen Parteien bei dem parteilosen und im Volk äußerst populären Hindenburg eine Kandidatur an, der der 77jährige schließlich zustimmte. 

Am 26. April 1925 wurde Hindenburg als Nachfolger Eberts zum Reichspräsidenten gewählt und ist damit bis heute das einzige deutsche Staatsoberhaupt, das je vom Volk direkt gewählt wurde. Politische Bedenken gegenüber dem neuen Staatsoberhaupt sollten sich insgesamt als unbegründet erweisen. Hindenburg achtete strikt die Verfassung, zeichnete sich durch seine immer wieder bewiesene Pflichterfüllung aus und regierte stets überparteilich, was ihm ein großer Teil seiner Anhänger innerhalb der DNVP verübelten. 

Im Hinblick auf die Entwicklung 1932/33 sollten zwei Aspekte beachtet werden. Zum einen mit 85 Jahren das hohe Alter Hindenburgs, zum anderen sein zwielichtiger Beraterstab, die sogenannte Kamarilla, eine Art Schattenkabinett, bestehend unter anderem aus seinem Sohn Oskar, dem Staatssekretär Otto Meissner und dem General Kurt von Schleicher als graue Eminenz. Für den Reichspräsidenten war es nahezu unmöglich, sich der dynamischen Massenbewegung der NSDAP, den ständig auf ihn einredenden und intrigierenden Beratern und der allgemeinen Stimmungslage zu entziehen. Und doch sträubte er sich bis zuletzt, den „böhmischen Gefreiten“ zum Reichskanzler zu ernennen. 

Er sträubte sich bis zuletzt, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen

Am 4. Januar 1933 traf sich Franz von Papen mit Hitler in Köln, um über die Regierungsbeteiligung der NSDAP zu beraten. An einem späteren Treffen am 22. Januar nahmen auch Staatssekretär Otto Meissner und Oskar von Hindenburg teil. Allen drei Vertrauten Paul von Hindenburgs wird zugeschrieben, daß sie in den letzten Januartagen den Reichspräsidenten von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler überzeugten. Papens Plan war es, Hitler „einzurahmen“, in Wirklichkeit selbst die Macht auszuüben. Er soll dazu geäußert haben: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, daß er quietscht!“ Als Hindenburg dem Drängen dann am 30. Januar 1933 nachgab, dürfte er – wie viele andere, vor allem seine Berater – die Tragweite dieses Aktes nicht vollständig überblickt haben. 

Foto: Plakat wirbt für die Wahl Hindenburgs am 10. April 1932: Ausgerechnet die Unterstützung der SPD sicherte seine zweite Reichspräsidentschaft