© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Literarischer Hochverrat
Der politische Tausendsassa Richard Scheringer und der Staat
Stefan Scheil

Kreativ ist der deutsche Staat schon oft gewesen, wenn es um die Schaffung neuer Straftatbestände ging. Das mußte im April 1932 auch der Reichswehroffizier Richard Scheringer erfahren, als er wegen „literarischen Hochverrats“ vom deutschen Reichsgericht in Leipzig zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde.

Literarischer Hochverrat, das war die damals allerneueste Kreation zur juristischen Verfolgung politisch unerwünschter Haltungen. Zur Erfüllung dieses Tatbestands wurde weder der Nachweis konkreter Umsturz- oder Landesverratstätigkeiten benötigt, noch der Beweis verfassungsfeindlicher Publizistik. Es genügte die Auffassung des Gerichts, wonach eine beliebige, von ihm selbst zusammengestellte Sammlung von Äußerungen des neuerdings kommunistisch umtriebigen Angeklagten ein strafwürdiges Bild ergebe. Dazu mußten die Äußerungen im einzelnen weder strafbar noch öffentlich gewesen sein. Gegen Scheringer wurden daher unter anderem einige seiner eigenen Privatbriefe verwendet. 

Nun traf das Urteil mit Scheringer allerdings nicht gerade eine verfolgte Unschuld. Zwei Jahre zuvor war er noch wegen des Versuchs einer nationalsozialistischen Zellenbildung innerhalb der Reichswehr in Ulm zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Im Frühjahr 1931 konvertierte er in der Haft zum Kommunismus und erklärte, sich in die „Front des wehrhaften Proletariats“ einzureihen. 

Mit seinen Aktionen stand Scheringer regelmäßig in den Schlagzeilen und knüpfte Kontakte zu einem illustren Personenkreis. Zum Prozeß in Ulm war 1930 der NSDAP-Chef Hitler als Zeuge geladen gewesen und hatte dort zu Protokoll gegeben, die Macht in Deutschland nur legal anzustreben. Scheringers Kommunismuswende verkündete die kommunistische Partei dann 1931 stolz im Reichstag. Ernst Jünger betrachtete Scheringer als vorbildlichen Nationalrevolutionär und Freund. Kommunismus hin oder her, wurde Scheringer angesichts seiner zweifelsfrei nationalistischen Grundhaltung bald nach 1933 auch durch den Reichspräsidenten Hindenburg begnadigt und aus der Haft entlassen.

Danach warb der NS-Staat um Scheringer, der sich phasenweise auch werben ließ, dann aber doch ins Private zurückzog und mit seiner zwölfköpfigen Familie einen Bauernhof in Oberbayern bewirtschaftete, wo auch die Geschwister Scholl ihre Ferien verbrachten. Nach 1945 engagierte sich Scheringer in der KPD, für die er kurzzeitig im Bayerischen Landtag 1946 die Fraktion führte. Da er im „Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands“ der KPD von 1952 den „Sturz des Regimes Adenauer“ forderte, verurteilte ihn der Bundesgerichtshof zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte für die Dauer von fünf Jahren und zwei Jahren Gefängnis, die er krankheitsbedingt aber nicht absaß. Nach Gründung der DKP 1968 engagierte sich Scheringer bis zu seinem Tod als Mitglied im Parteivorstand. An seinem Sarg stand 1986 schließlich eine Ehrendelegation der SED und lag ein von Ernst Jünger gestifteter Kranz. Die deutsche Justiz wäre über sein Leben sicher auch heutzutage höchst irritiert gewesen, an Kreativität hat sie ja nichts eingebüßt.