© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/22 / 08. April 2022

Kabinenklatsch
Die gute, alte Zeit
Ronald Berthold

Nach der Wunder-Elf von Bern gehören die Weltmeister von 1974 für mich zu den Legenden des deutschen Fußballs. Durch zwei Nachrichten der vergangenen Tage habe ich mal wieder einen Blick auf die Mannschaft geworfen, die gegen Holland den zweiten Titel nach Deutschland holte. Erst starb der Frankfurter Jürgen Grabowski, und am Sonntag wurde Georg „Katsche“ Schwarzenbeck 74 Jahre alt. Der Wasserträger von Franz Beckenbauer hielt dem Kaiser den Rücken frei. So konnte der geniale Libero die Mannschaft auf den Thron führen. Libero? Wasserträger? All das gibt es längst nicht mehr.

Während mit Horst Eckel im Dezember der letzte 54er-Weltmeister verstarb, so werden nun auch die Kollegen, die 20 Jahre später unter Trainer Helmut Schön den Titel holten, weniger. Nach dem Bomber der Nation, Gerd Müller (1945–2021), weilt nun auch Grabowski nicht mehr unter uns. Der Rechtsaußen starb am 10. März im Alter von 77 Jahren. Wenn ein Held der Kindheit geht, berührt mich das auf sentimentale Weise.

Beide Teams, das von 1954 und das von 1974, verbindet übrigens nicht nur, daß sie einen Rückstand drehten. Sie waren auch noch eine echte Elf. In der Schweiz waren Auswechslungen noch nicht erlaubt. Und Helmut Schön hätte im Endspiel zweimal austauschen dürfen, tat es aber nicht. Heute, da oft fünf Ersatzspieler aufs Feld geschickt werden, wirkt das wie ein Anachronismus. Als ich mir die Weltmeister von München genauer anschaute, fiel mir auch etwas Abseitiges auf: Die Spieler waren damals deutlich kleiner. Mit 1,83 Metern überragte Torwart Sepp Maier alle Kameraden. Heute wäre er damit der kleinste Keeper der Bundesliga. Ach ja, die gute alte Zeit.