© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Alles ordnet sich neu
Der US-Dollar als unangefochtene Weltleitwährung steht auf dem Prüfstand
Bruno Bandulet

Wenn dies die Geburtsstunde einer neuen Weltordnung ist, jedenfalls einer finanziellen, dann können wir sagen, wir seien dabei-gewesen. Eine derartige Zeitenwende proklamierte Zoltan Pozsar, Zinsstratege der Schweizer Großbank Credit Suisse, in einem vielbeachteten Papier vom 7. März mit dem Titel „Bretton Woods III“. Pozsar ist kein Außenseiter. In seiner Position bei der New Yorker Notenbank und als Berater des US-Finanzministeriums hatte er Einblick in Hintergründe und Abläufe der großen Finanzkrise von 2008. Er kennt Stärken und Schwächen des Dollarsystems. Die Fundamente dieses Systems, schreibt er, seien zerbröckelt, als der Westen die Devisenreserven Rußlands konfiszierte.

Ob es zutreffend ist, unter einer neuen monetären Weltordnung ein Bretton Woods III zu verstehen, sei dahingestellt. So oder so wird sie multipolar sein. Bretton Woods I, benannt nach einer Konferenz in Neuengland in der Endphase des Zweiten Weltkrieges, begründete die Hegemonie des Dollars und untermauerte zugleich die Weltmachtstellung der USA. Die US-Währung war an das Gold gebunden und jederzeit eintauschbar in Gold, wenn ausländische Zentralbanken ihre Dollars in New York einreichten. Der Dollar war gedecktes Geld – bis zum 15. August 1971, als Präsident Richard Nixon den Vertrag brach, die Zahlung verweigerte und die Konvertibilität beendete. 

Es folgte Bretton Woods II mit der Inflation und dem Währungschaos der siebziger Jahre, mit zwei Jahrzehnten der Stabilisierung, mit neuen amerikanischen Kriegen nach der Jahrtausendwende und mit dem Beinahetod des Systems in der Finanzkrise 2008. Aber auch ohne Golddeckung blieb der Dollar Leit- und Reservewährung der Welt. Das Arrangement erlaubte es den Amerikanern, permanent über ihre Verhältnisse zu leben, Kriege und Konsum vom Ausland finanzieren zu lassen. Die Haushaltsdefizite und die tiefrote Handelsbilanz blieben straflos. Amerika, früher der Gläubiger der Welt, wurde zu ihrem Schuldner. Die Staatsschulden des immer noch reichen Landes lagen zuletzt bei phantastischen 30 Billionen Dollar. Daß der Dollar seit Jahren gegen den Euro aufwertet, ist kein Qualitätsausweis, sondern verdankt sich dem Umstand, daß es sich beim Euro um ein Experiment mit offenem Ausgang handelt, nicht um eine etablierte Währung. Beide steuern in diesem Jahrzehnt in einen rohstoffinduzierten Tsunami der Inflation, gegen den die Geldentwertung der siebziger Jahre wie eine mittelmäßige Flut aussehen könnte.

Zoltan Pozsar trifft eine wichtige Unterscheidung: die zwischen „Inside Money“ und „Outside Money“. Ersteres ist das Geld im Zentrum des globalen Finanzsystems, die in den USA und der EU zirkulierenden, beliebig vermehrbaren Dollars und Euros. Outside Money ist das Geld der Länder an der Peripherie, zu der  neben Rußland auch China, Indien und andere Schwellenländer zählen. Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat in den vergangenen zwölf Monaten der Brasilianische Real um 20 Prozent gegen den Euro aufgewertet, der Chinesische Yuan um fast neun Prozent und der Südafrikanische Rand um fast sieben Prozent.

Den König Dollar zu entthronen ist ohne Zweifel ein Kernelement der chinesischen Strategie. Im vergangenen Jahr konnte der Yuan Punkte sammeln. Die People’s Bank of China war schon 2020 die einzige große Notenbank, die es unterließ, wegen Corona die Geldschleusen zu öffnen. Sie entschied sich zu einer Geldpolitik, wie sie die längst entmachtete Deutsche Bundesbank nicht anders betrieben hätte. Jetzt bietet sich der Volksrepublik die unverhoffte Chance, russische Rohstoffe – vor allem Erdöl – weit unter Weltmarktpreisen einzukaufen und zu horten und damit die Resilienz der chinesischen Volkswirtschaft zu stärken. Peking wird dem Ziel einer multipolaren Währungsordnung näher kommen, vielleicht auch mit der Einführung eines digitalen Yuan.

Warum ist die Blockierung der russischen Devisenreserven aber ein „game changer“? Weil damit die Geschäftsordnung von Bretton Woods I und II annulliert wird, nämlich die Sicherheit und Verfügbarkeit von Devisenreserven. Anders als Gold sind Dollar und Euro – abgesehen vom Bargeld – nicht physisch greifbar, sondern nur gebucht auf den Computern des westlichen Bankensystems. Im Falle Chinas handelt es sich um umgerechnet 3.400 Milliarden Dollar. Indien hat 632 Milliarden akkumuliert, Saudi-Arabien 441 Milliarden. 

Könnten auch diese im schlimmsten Fall blockiert und damit nutzlos werden? Selbstverständlich. Immerhin hat US-Präsident Joe Biden die saudische Monarchie schon einmal als „Paria-Land“ deklassifiziert. Da liegt es nahe, den chinesischen, arabischen und indischen Außenhandel, ganz abgesehen vom russischen, zunehmend vom Dollar abzukoppeln. 

Es wird saudische Ölverkäufe gegen Yuan geben, chinesische Ölimporte gegen Rubel und einen graduellen Wechsel vom amerikanisch kontrollierten Zahlungssystem Swift zu dem bereits etablierten chinesischen Pendant. Über Nacht geschieht das nicht, schließlich dauerte es auch, bis das Britische Pfund dem amerikanischen Dollar weichen mußte. Und dann sind da noch die Oligarchen der Peripherie, die ins Grübeln kommen. Sie sehen, wie die Auslandsvermögen der russischen Milliardäre von heute auf morgen ohne Rechtsgrundlage faktisch enteignet wurden. Sie werden diversifizieren wollen. 

Letzten Endes folgen die politischen und finanziellen Machtverhältnisse immer den ökonomischen. Das lehrt die Geschichte. Die Zeichen stehen auf multipolare Weltordnung, möglicherweise auch – nach einem inflationären Kollaps – auf monetäre Neuordnung mit rohstoff- oder goldgedecktem Geld. Die Epoche der einzigen Weltmacht läßt sich nicht zurückholen. Zwar werden immer noch 40 Prozent des internationalen Warenhandels in Dollar fakturiert, aber der amerikanische Anteil am Welthandel ist auf weniger als zehn Prozent gesunken. Noch 1960 bestritten die USA 40 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes. Jetzt sind es weniger als 16 Prozent. In der Welt von morgen muß sich die deutsche Politik, die gerade an der Zerstörung ihrer industriellen Basis arbeitet, erst noch zurechtfinden.