© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Der Druck auf Scholz wächst
Ukraine-Krise: Ampel-Koalition streitet über Waffenlieferungen / Diskussionen über Rolle von Angela Merkel
Jörg Kürschner

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP streitet über den Umfang von Waffenlieferungen an die Ukraine. Und während die Regierung in Kiew weiteren Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausübt, werden Forderungen lauter, der Regierungschef solle wie Spitzenpolitiker aus anderen Staaten als Geste der Solidarität in die ukrainische Hauptstadt reisen. 

Wie so häufig blieben die Aussagen des Kanzlers im Ungefähren. „All das, was sinnvoll ist und schnell wirkt, das wird geliefert“, sagte Olaf Scholz (SPD) Mitte vergangener Woche im Bundestag. Ziel der Unterstützung sei es, „daß Rußland diesen Krieg nicht gewinnt“. Derzeit würden Angebote der Rüstungsindustrie betrachtet und bewertet. Bislang unterstützt Deutschland die Ukraine in ihrem Krieg gegen Rußland mit Waffen und Munition aus Bundeswehrbeständen.

Doch die politische Wirklichkeit sieht anders aus. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sträubt sich gegen weitere Waffenlieferungen. „Bei Lieferungen aus den Beständen der Bundeswehr, das muß ich ehrlich sagen, sind wir aber inzwischen an eine Grenze gekommen“, meint die 56jährige. Jetzt sei die Rüstungsindustrie gefragt. Zuletzt fragte die Regierung in Kiew nach 100 Marder-Schützenpanzern, die bereits ausgemustert sind. Nach Medienberichten will der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall der Ukraine bis Jahresende 35 Schützenpanzer verkaufen – nach deren technischer Wartung.

Lambrechts Verhalten stößt in der Koalition auf Unverständnis

Zunächst hatte Rheinmetall mit Blick auf die Kriegssituation vorgeschlagen, die Bundeswehr solle der Ukraine sofort einsatzbereite „Marder“ liefern. Die Truppe bekomme anschließend die instandgesetzten Panzer von Rheinmetall. Doch Lambrecht lehnte ab. Die „Marder“ würden an der Ostflanke der Nato gebraucht. Zuvor hatte Rheinmetall-Chef Armin Papperger zu bedenken gegeben, die ersten 20 gewarteten Panzer könnten frühestens in sechs Wochen geliefert werden, 50 weitere innerhalb von fünf bis sechs Monaten.

Lambrechts Verhalten stieß in der Koalition auf Unverständnis. Die Situation sei „sehr unzufriedenstellend“, kritisierte Grünen-Co-Chef Omid Nouripour. Es könne nicht sein, daß etwa von der Ukraine angefragte Schützenpanzer vom Typ Marder in Deutschland einfach ungenutzt herumstehen und nicht geliefert werden. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ließ erkennen, daß Deutschland seine bisherige Zurückhaltung aufgeben werde. „Die Ukraine braucht weiteres militärisches Material, vor allen Dingen auch schwere Waffen“, betonte sie am Montag. Es gebe massive Hinweise auf von Rußland verübte Kriegsverbrechen.

Druck auf den Kanzler baute auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), auf. Sie forderte ihn zu mehr Führungsstärke auf. Der Kanzler solle anfangen, „seine Richtlinienkompetenz zu nutzen und zu führen. Die Sicherheit der Bundesrepublik kann man nicht Zufällen überlassen. Deutschland und Europa wartet darauf.“ Der Wirtschaftsminister müsse grünes Licht geben, wenn Rüstungsfirmen Material schicken könnten, mahnte die FDP-Politikerin. Zu Forderungen aus der Unions-Bundestagsfraktion, der Kanzler solle wie andere europäische Spitzenpolitiker etwa Großbritanniens Premier Boris Johnson nach Kiew reisen, gab sie sich zurückhaltend. „Ob überhaupt und wenn, ab wann der Bundeskanzler reist, muß ihm allein überlassen bleiben. Ihn an dieser Stelle aus dem Warmen heraus diesbezüglich zu treiben, finde ich deplatziert.“ 

CSU-Chef Markus Söder drängte unterdessen auf eine Ausweitung der Waffenlieferungen. „Die beste Form, der Ukraine zu helfen und die unmenschlichen Greueltaten zu beenden, sind mehr und schnellere Waffenlieferungen.“ Zugleich warnte er vor einem Importstopp für russisches Gas. „Unser Land steht an der Schwelle zur sozialen und ökonomischen Überforderung. Wir müssen aufpassen, daß nicht die Mitte der Gesellschaft in einen Abstiegssog gerät.“ Diese Befürchtung äußerte auch CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz. „Die Deutschen hätten wahrscheinlich – jedenfalls für eine gewisse Zeit – den Höhepunkt ihres Wohlstands hinter sich.“

AfD-Chef Chrupalla plädiert für Einhaltung der Lieferverträge

Der CDU-Chef hatte sich zudem noch mit einer personellen Altlast zu beschäftigen: Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel. Nachdem sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für seine Rußland-Politik als langjähriger Außenminister entschuldigt hatte, war diese Frage auch an die CDU gestellt worden.  „Es wäre vermessen, zu behaupten, daß Angela Merkel eine Mitschuld am Krieg in der Ukraine trifft. Es ist Putins Krieg gegen die Ukraine und der seiner Verbrecherclique im Kreml“, sagte CDU-Generalsekretär Mario Czaja. Diese Erklärung stieß in der CDU auf beredtes Schweigen. Mit einer Ausnahme. Fraktionsvize Johann Wadephul erwartet weitere Erklärungen der ehemaligen Regierungschefin. „Ich würde mir wünschen, daß Angela Merkel bald einmal Zeit und Anlaß findet, sich vertieft zu ihrer Rußland-Politik zu äußern.“ Diese hatte ihre Entscheidung gerechtfertigt, die Ukraine 2008 nicht in die Nato aufzunehmen. 

Einen Kontrapunkt in der Debatte setzte AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, der auf dem brandenburgischen Landesparteitag in Prenzlau für die Einhaltung aller Lieferverträge für russische Energie plädierte. Sanktionen schadeten Deutschland. Er zitierte den jüngst wiedergewählten ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán sinngemäß: „Kein Deutscher soll zwischen einen ukrainischen Amboß und einen russischen Hammer geraten.“ Die AfD sei „die Partei des Friedens“.  

Zu Wochenbeginn hatte die Bundeswehr einen Flug zum Transport von im Krieg verletzten Ukrainern nach Deutschland vorbereitet. Dazu sollte das Spezialflugzeug der Luftwaffe, ein Airbus A310 Med-

Evac, ins südostpolnische Rzeszow fliegen und von dort Kinder und Erwachsene zur Behandlung nach Deutschland bringen. Es wird der erste Flug dieser Art seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sein.

Foto: Boris Johnson und Olaf Scholz am Freitag: Der eine reiste nach Kiew, der andere nicht