© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Mit zitternder Stimme
Flutkatastrophe: In einer Pressekonferenz bittet Familienministerin Anne Spiegel um Entschuldigung – und tritt einen Tag später zurück
Henning Hoffgaard / Björn Harms

Nun also doch: Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) hat am Montag ihr Amt zur Verfügung gestellt. Zu diesem Schritt habe sie sich „aufgrund des politischen Drucks“ entschieden, erklärte die 41jährige. Sie wolle „Schaden vom Amt abwenden“. Einen Tag zuvor noch hatte sie mit einem kurzfristig einberufenen Presseauftritt in Berlin auf sich aufmerksam gemacht. Mit zitternder Stimme bat sie dabei um Entschuldigung. „Es war ein Fehler, daß wir so lange in Urlaub gefahren sind. Ich bitte für diesen Fehler um Entschuldigung“, bedauerte die Grünen-Politikerin am Sonntag abend. Hintergrund waren Recherchen der Bild-Zeitung, laut denen Spiegel als rheinland-pfälzische Umweltministerin kurz nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal einen vierwöchigen Familienurlaub nach Frankreich unternahm. Nun rechtfertigte sie den Ausflug mit einem Schlaganfall, den ihr Mann 2019 erlitten habe und dem Streß, dem die Familie durch die Corona-Situation ausgesetzt gewesen sei. „Es war an einem Punkt, wo wir Urlaub gebraucht haben.“ Es sei zudem ein Fehler gewesen, so die zurückgetretene Ministerin, in den vier Wochen nicht an den Kabinettssitzungen teilgenommen zu haben. Sie räumte damit eine Lüge ein, da sie zuvor behauptet hatte, sie habe sehr wohl an den Regierungssitzungen teilgenommen. Allerdings sei sie telefonisch immer erreichbar gewesen.

Die Grünen-Politikerin sah sich wegen ihres Krisenmanagements nach der Flut bereits seit Wochen zahlreichen Rücktrittsforderungen der Opposition ausgesetzt. SMS-Nachrichten deuten darauf hin, daß sie sich am Morgen nach der Jahrhundert-Flut mit über 130 Toten mehr um ihr politisches Image als um die Flutopfer sorgte. Während der Flutkatastrophe forderte sie unter anderem ihren Pressesprecher auf, eine Mitteilung des Umweltministeriums zu gendern. „Konnte nur kurz draufschauen, bitte noch gendern CampingplatzbetreiberInnen, ansonsten Freigabe“, schrieb sie laut Medienberichten in einer SMS. 

Noch am Sonntag ging die Bundesfamilienministerin auf die Rücktrittsforderungen kaum ein. Gegen Ende der Erklärung rang sie um Fassung: „Jetzt überlege ich gerade, ob ich irgendwas …“, stammelte sie und blickte hilfesuchend zur Seite. „Ich muß noch irgendwie abbinden.“ Ein Sprecher des Familienministeriums konnte am Montag auf Nachfrage nicht erläutern, was Spiegel damit meinte. 

Die Opposition kritisierte die Grünen-Politikerin scharf. „Eine Ministerin, die in der Flutnacht versagt hat und danach wochenlang in Urlaub fährt, während die Menschen im Ahrtal um ihre toten Angehörigen trauern und damit beschäftigt sind, die Trümmer ihrer Existenz zu beseitigen, kann keine Empathie für sich in Anspruch nehmen“, sagte der Obmann der AfD im Untersuchungsausschuß zur Flutkatastrophe im rheinland-pfälzischen Parlament, Michael Frisch.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer nannte Spiegels Auftritt „verstörend“. Vor Spiegels Äußerungen am Sonntag hatte bereits CDU-Parteichef Friedrich Merz Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgefordert, die Ministerin zu entlassen.

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