© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Von der Nähe zur Macht
Paul Rosen

Journalisten verstehen sich gern als vierte Gewalt neben Regierung, Parlament und Gerichten. Die Nähe zur Macht scheint aber auch verführerisch zu sein. Viele Journalisten erlagen den Lockrufen der Politiker und stellten sich als Pressesprecher an ihre Seite. So holte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine neue Pressesprecherin von der Süddeutschen Zeitung: Cerstin Gammelin hat aber keinen leichten Start. Sie muß sich mit unangenehmen Fragen nach der angeblich zu rußlandfreundlichen Vergangenheit Steinmeiers herumschlagen. Unterstützt wird sie dabei von Marc Brost, der auch Reden für den Bundespräsidenten schreiben soll. Brost war zuvor Chef des Politik-Ressorts der Wochenzeitung Die Zeit. Gamelins Vorgängerin Anna Engelke kam vom Norddeutschen Rundfunk.

Journalisten als Sprecher von Präsidialamt und Regierung sind sogar eher die Regel als die Ausnahme. Pech hatte die frühere Journalistin des Bayerischen Rundfunks, Petra Diroll. Als sie am 1. Juni 2010 Sprecherin von Bundespräsident Horst Köhler werden sollte, war dieser einen Tag zuvor zurückgetreten. Nachfolger Christian Wulff brachte seine rechte Hand Olaf Glaesecker als Sprecher mit. Er hatte früher für die Augsburger Allgemeine und die Nordwest-Zeitung gearbeitet. Diroll spielte später wieder eine Rolle: Als Wulff im Zuge einer Affäre um einen Kredit und Geschenke sich von seinem Pressesprecher trennte, wurde Diroll Sprecherin des Präsidialamtes – bis Wulff zurücktrat.

Auch in der langen Liste der Regierungssprecher finden sich viele bekannte Namen aus der Presse.  Der frühere Spiegel-Journalist Conrad Ahlers hatte mit einem kritischen Bericht über den Zustand der Bundeswehr („Bedingt abwehrbereit“) 1962 sogar eine schwere Regierungskrise ausgelöst. 1972 wurde er Regierungssprecher von Kanzler Willy Brandt. Rüdiger von Wechmar, Klaus Bölling und Kurt Becker waren Regierungssprecher in der sozialliberalen Ära, die ebenfalls einen journalistischen Hintergrund hatten.

Als Helmut Kohl (CDU) 1982 Bundeskanzler wurde, hielt er an der Tradition seiner Vorgänger fest. Sein erster Sprecher Diether Stolze kam von der Zeit, der Nachfolger Peter Boehnisch von der Bild-Zeitung, der dritte war Friedhelm Ost, ein ZDF-Wirtschaftsjournalist. Mit Hans Klein (CSU) gab es sogar einen Regierungssprecher mit Ministerrang. Auch Klein war Journalist gewesen – genauso sein Nachfolger Dietrich Vogel, der von der FAZ kam. Vom Bayerischen Rundfunk wiederum kam dessen Nachfolger Peter Hausmann, der allerdings Probleme mit Kohls rechter Hand Andreas Fritzenkötter hatte, ebenfalls ein Ex-Journalist (Rheinische Post).

Kanzler Gerhard Schröders Pressesprecher waren auch Journalisten: Uwe-Karsten Heye war als Fernsehautor tätig und Belá Anda kam von der Bild-Zeitung. Bei Merkel war es nicht anders: Ulrich Wilhelm war zuvor beim Bayrischen Fernsehen und Steffen Seibert beim ZDF. Auch Kanzler Olaf Scholz hat mit Steffen Hebestreit einen langjährigen Tageszeitungsjournalisten als Chef im Presseamt eingesetzt.