© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Ruf der Woche
Nur temporär erlaubt
Björn Harms

Im Jahr 2020 erlebten die Einwohner der niederrheinischen Stadt Krefeld etwas Ungewöhnliches. Erstmals erlaubte die Stadt während des islamischen Fastenmonats Ramadan, an dem die Muslime von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fasten, den Muezzinruf. Natürlich sei das nur vorübergehend, hieß es damals von seiten der Verwaltung. Da die Gotteshäuser wegen Corona nicht öffnen könnten, komme man so den Gläubigen entgegen. Viele Krefelder fühlten sich trotzdem vor den Kopf gestoßen. Schließlich ist der Gebetsruf nicht mit einem Kirchenläuten vergleichbar, sondern stellt die absolute Inanspruchnahme des öffentlichen Raums dar. „Ich bezeuge, daß Muhammad der Gesandte Allahs ist“ und „Es gibt keine Gottheit außer Allah“, klingt es aus den Lautsprechern. Doch die Stadtverwaltung beschwichtigte: Die Erlaubnis sei ja nur temporär erteilt worden. Ein Jahr später wiederholte sich das Ganze. Wieder hieß die Begründung Corona. Erneut erhielt die muslimische Gemeinde in der Stadt die Genehmigung, den Muezzinruf durch die Straßen schallen zu lassen. In diesem Jahr spielt Corona keine große Rolle mehr. War es das also mit dem öffentlichen Glaubensbekenntnis? Nein, auch jetzt erschallt der Ruf an den vier Freitagen des Fastenmonats, am Samstag bereits zum dritten Mal. Wie Tufan Ünal, der Vorsitzende der Türkischen Union von Krefeld, mitteilte, habe die Stadt dem Antrag zur Genehmigung des Rufes zugestimmt. Lediglich eine Auflage gab die Stadtverwaltung mit auf den Weg: Der Muezzinruf dürfe nicht länger als fünf Minuten dauern und eine bestimmte Dezibel-Marke nicht überschreiten. Tufan Ünal jedenfalls ist glücklich. Er sieht in der Möglichkeit, den Muezzinruf zelebrieren zu dürfen, ein wichtiges Zeichen für Toleranz und Weltoffenheit. Das sei jetzt, da es in Europa Krieg gebe, noch wichtiger geworden.