© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Schön benebelt
Die Rauschdroge Cannabis hat viele Opfer und viele Unterstützer: Die Bundesregierung strebt eine kontrollierte Freigabe an. Das ist auch das Ergebnis jahrelanger Hintergrundarbeit linksgrüner Lobbygruppen. Eine Spurensuche
Hinrich Rohbohm

Sandras Laune ist schlecht. Kopfschmerzen. „Und heute muß ich auch noch einen Fitneß-Kurs unterrichten“, stöhnt sie. Seit drei Jahren lebt die junge Frau in Hamburg-Eimsbüttel und finanziert ihr Studium, indem sie nebenbei als Fitneß-Trainerin jobbt. Daß sie regelmäßig Cannabis konsumiert, sieht man ihr nicht an. „Aber wie es in mir drin aussieht, weiß kaum jemand“, sagt sie. Schon oft habe sie sich vorgenommen, „mit dem Kiffen aufzuhören“. Aber das sei so wie mit dem guten Vorsatz für das neue Jahr. „Man nimmt es sich vor, aber letztlich zieht man es doch nicht durch.“

Angefangen hatte sie mit dem Cannabis-Konsum, als sie vor drei Jahren nach Hamburg umgezogen war. Partys, Freunde, tolle Stimmung. Und Gras. „Irgendwann hab’ ich dann einfach mitgemacht, die Hemmschwelle war bei mir gebrochen, weil ja auch meine Freunde kifften.“ Doch sie spürt, wie sie sich im Laufe der Jahre verändert hat. „Ich würde mich heute als latent abhängig bezeichnen.“ Sie sei „durch das Zeug“ unkonzentrierter geworden, fahriger. „Ich drehe jetzt nicht durch, wenn ich mal längere Zeit keinen Joint rauche. Aber ich merke, daß ich ungeduldiger und aggressiver werde. So, als würde ich mich von Dr. Jekyll in Mr. Hyde verwandeln.“

Bei Ayleen war es noch heftiger. Die 19jährige wohnt in dem Bremer Brennpunktviertel Tenever, machte schon mit 15 erste Erfahrungen mit dem Kiffen. „Mein damaliger Freund dealte mit Cannabis. So bin ich auch dazu gekommen.“ Aus dem Ausprobieren wurde Gewohnheit, aus einem Joint pro Tag wurden sieben. „Ich bekam Angstzustände und Depressionen. Manchmal wurde ich extrem aggressiv. Es war, als steckte ein kleiner Teufel in mir.“ Ihre Leistungen in der Schule verschlechterten sich rapide, zuletzt mußte sie sich in Therapie begeben, „um wieder einigermaßen im Leben klarzukommen“.

Heute warnt sie ihre jüngeren Freundinnen vor der Droge. „Ich sage ihnen: Das Zeug wird für immer in deinem Kopf sein. Wirst du abhängig, kannst du an nichts anderes denken und machst alles dafür. Irgendwann bist du nicht mehr du selbst.“

Die Pläne der Ampel-Koalition, Cannabis zu legalisieren und für den Verkauf freizugeben, sieht sie skeptisch. „Ich kann verstehen, daß man hofft, auf diese Weise den illegalen Drogenmarkt auszutrocknen.“ Aber aus den Erlebnissen mit ihrem dealenden Ex-Freund wisse sie: „Das wird nicht funktionieren. Die Leute fangen heute ja teilweise schon mit 13 mit dem Kiffen an. Die können sich den Joint nicht einfach aus der Apotheke holen.“ Zudem sei ein legaler Markt an Regeln gebunden, denen kriminelle Drogenhändler nicht unterliegen würden.

Doch die Akzeptanz für eine Legalisierung der Cannabis-Droge ist im Verlauf der Jahre kontinuierlich gestiegen. Und mit ihr auch der Konsum. Laut einer Auswertung des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) hat sich die Zahl der Konsumenten zwischen 2010 und 2019 europaweit um durchschnittlich 27 Prozent erhöht. Ebenfalls sei demnach auch ein europaweiter Anstieg der Behandlungen nach Cannabis-Konsum um 30 Prozent zu beobachten. In jedem zweiten europäischen Land liege darüber hinaus der Anteil jener, die Cannabis nahezu täglich konsumierten, bei über 20 Prozent. Gerade im täglichen Cannabis-Konsum sehen Mediziner ein hohes Gesundheitsrisiko. Auffällig dabei: Ausgerechnet in Portugal, wo die Cannabis-Legalisierung bereits besonders weit fortgeschritten ist, liegt dieser Anteil sogar bei 70 Prozent.

Polizei warnt vor Verharmlosung des Drogenkonsums durch Freigabe

Auch von Forschern der Universitätsklinik Ulm ausgewertete Zahlen des Statistischen Bundesamts für die Jahre 2000 bis 2018 zeigen auf, daß sich die Krankenhausbehandlungen als Folge von Cannabis-Konsum deutschlandweit drastisch erhöht haben. So habe sich die Zahl der stationären Behandlungen von Patienten mit psychischen Störungen infolge von Cannabis-Konsum innerhalb dieses Zeitraums versechsfacht. Als Erklärung hierfür sehen die Forscher bezeichnenderweise eine bessere Verfügbarkeit der Droge. Die Befürchtung der Forscher: Eine Cannabis-Legalisierung könnte eine weitere Zunahme des Konsums zur Folge haben.

Auch die Polizei warnt. Sie geht im Zuge einer möglichen Legalisierung von einem „Pull-Effekt“ aus. Zudem trüge dies zur Verharmlosung von Drogenkonsum bei. Der Schwarzmarkt werde sich vielmehr stabilisieren als einbrechen, weil die häufig konsumierende Klientel vor allem Kinder und Jugendliche seien. Experten des Landeskriminalamtes (LKA) in Schleswig-Holstein warnen sogar davor, daß die Legalisierung illegalen Anbietern das Geschäft erleichtern könnte.

Demnach seien erlaubte Verkaufsstellen „nur zusätzliche Marktakteure, die mit ihrem Auftritt eine gefährliche Substanz verharmlosen, während sie aus Sicht vieler Konsumenten jedoch vermutlich nur bedingt konkurrenzfähig zu den illegalen, etablierten Bezugsmöglichkeiten sein dürften“, erklärte die LKA-Sprecherin Carola Jeschke im Januar dieses Jahres gegenüber dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag. Die Vorteile der illegalen Akteure lägen dabei in niedrigeren Preisen, leichteren Zugängen und härteren Stoffen. Im Falle einer Legalisierung dürfte es zudem schwieriger werden, Drogen illegaler Produzenten von den Rechtmäßigen zu unterscheiden. Ein Umstand, der der Drogenmafia zusätzlich in die Hände spielen könnte.

Laut einer Studie des Kriminologen Pieter Tops von der Universität Leiden habe die Legalisierung weicher Drogen in den Niederlanden Mitte der siebziger Jahre der Drogenmafia überhaupt erst den Aufstieg zu den heute mächtigen Kartellen ermöglicht. Nicht zuletzt warnen Wissenschaftler schon seit längerem auch vor einer nicht zu unterschätzenden Zunahme von Aggressivität im Zusammenhang mit Cannabis-Konsum. Und damit einer Zunahme von Kriminalität.

Dennoch stehen einer Forsa-Umfrage vom Oktober 2021 zufolge inzwischen 30 Prozent der Deutschen einer generellen Legalisierung der Droge positiv gegenüber. Selbst unter Konservativen finden sich mittlerweile Befürworter. Die steigende Akzeptanz dürfte auch das Ergebnis einer jahrzehntelangen Lobbyarbeit von Cannabis-Anhängern sein, deren Netzwerke weit in die Politik hineinreichen. Besonders bei den Grünen haben sie zahlreiche Fürsprecher, ebenso in der Linkspartei und dem linken Flügel der SPD.

Im Jahre 2002 hatte sich in Berlin der Deutsche Hanfverband (DHV) gegründet. Das Ziel: Cannabis legalisieren. Hervorgegangen ist der Interessenverband aus der „Agentur Sowjet“, ein als GmbH fungierendes Unternehmen, das unter anderem bundesweit versucht, ein Netzwerk aus Cannabis-Läden zu etablieren, die auf die vermeintlichen Vorzüge der Droge aufmerksam machen und ihre Legalisierung vorantreiben sollen. Geschäftsführer der Agentur Sowjet GmbH ist Emanuel Kotzian aus Nürnberg. In den Neunzigern war er in der Frankenmetropole als Vorstandsmitglied der Grünen aktiv, war unter anderem Mitbegründer der Grünen Jugend Bayern und 1998 Landtagskandidat der Partei. 2009 wechselte er zu den Piraten, wurde 2009 deren Bundestagskandidat. Seit 2010 ist er ihr Kreisvorsitzender. Im Impressum der Internetseite von Agentur Sowjet ist jedoch eine andere Adresse angegeben: Oranienstraße 198 in Berlin-Kreuzberg.

Bei einem Besuch der JF vor Ort zeigt sich: Die besagte Adresse befindet sich im Herzen der linksradikalen Antifa- und Hausbesetzer-Szene. Die Häuserzeilen sind mit Antifa-Graffiti übersät, die Wohnungen werden zumeist als Rückzugsorte für die Szene genutzt. Wenig überraschend: Auf eine „Agentur Sowjet“ weisen hier weder Klingelschild noch Briefkasten hin. Eine klassische Scheinadresse, die sich bezeichnenderweise nur wenige hundert Meter von Berlins Drogen-Sodom-und-Gomorrha, dem Görlitzer Park, befindet.

Das Netzwerk Law Enforcement Against Prohibition ist breit gestreut

Ebenfalls in Berlin wirbt seit 1997 jährlich die „Hanfparade“ für die Entkriminalisierung der Droge. 2002 forderte dort unter anderem Grünen-Linksaußen Hans-Christian Ströbele in einer Rede: „Gebt das Hanf frei, und zwar sofort.“ Besonders die Grünen sind eng mit der Hanf-Lobby verbunden. Der Vorsitzende des Deutschen Hanfverbandes, Georg Wurth, war bei der Öko-Partei Mitbegründer der AG Drogenpolitik, gründete zudem das grüne Bundesnetzwerk Drogenpolitik sowie das Fachforum Drogenpolitik der Grünen Jugend.

Ebenfalls das grüne Parteibuch hat der bis 2015 als Münsteraner Polizeipräsident fungierende Hubert Wimber. Wimber ist Gründer des Netzwerks Law Enforcement Against Prohibition (LEAP) in Deutschland, welches eng mit den Grünen und deren Drogenexperten verwoben ist. Initiator für LEAP war der ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete Frank Tempel, der zugleich als drogenpolitischer Sprecher seiner Fraktion amtierte.

Zu den LEAP-Funktionären zählen auch der einstige parteilose Bundestagskandidat für die PDS Andreas Müller und der Ex-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Nešković, der bereits sowohl bei den Grünen als auch in der Linken und der SPD aktiv gewesen war und zudem als Vorstandsmitglied des Instituts Solidarische Moderne fungiert. Darüber hinaus finden sich in den Reihen von LEAP weitere Politiker des linken Spektrums.

Etwa der NRW-Landesvorsitzende der satirisch-linkslastigen „Die Partei“ Mark Benecke als auch die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, und ihre Parteikollegin Kirsten Kappert-Gonther, bei den Grünen Sprecherin für Drogenpolitik. Ebenfalls bei LEAP mit dabei: der Beauftrage für Sucht- und Drogenfragen Burkhard Blienert (SPD).

Daß die Freigabe von Cannabis möglicherweise nur der Einstieg für die Freigabe weiterer weitaus härterer und gefährlicherer Drogen sein könnte, darauf deuten Aussagen insbesondere von Grünen-Politikern hin. So forderte etwa die gesundheitspolitische Sprecherin der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin, Catherina Pieroth, bereits im Oktober 2019 eine Eigenbedarfsregelung auch für „harte“ Drogen wie Heroin und Kokain.

Und der grüne Frankfurter Gesundheitsdezernent Stefan Majer forderte nur ein Jahr später eine kontrollierte Abgabe der hochgefährlichen Crack-Droge. Vielleicht hatte er da an seinen Parteifreund und LGBT-Aktivisten Volker Beck gedacht. Der war 2016 in politische Turbulenzen geraten, nachdem eine Polizeikontrolle Crystal Meth bei dem Politiker entdeckt hatte. Während er die meisten seiner Funktionen bei den Grünen behalten durfte, mußte er lediglich den Posten des innenpolitischen Sprechers seiner Fraktion räumen. Seine Nachfolgerin damals: die LEAP-Netzwerkerin Irene Mihalic.

Foto: Wilder Rausch und bitterer Kater: Die Fäden der Lobbyisten reichen weit in die Parteien hinein, die nun die Bundesregierung stellen