© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Im Bann der Brotrevolten
Weltweite Sorge um Düngemittel und Weizen: Manche Vorräte reichen nur bis zum Herbst
Jörg Sobolewski

Die Sprachnachricht klingt nicht besorgt, aber eine gewisse Spannung ist der Stimme von Johannes Holstein schon anzumerken. Die südamerikanische Heimat des deutschstämmigen Landwirts, Paraguay, ist weltpolitisch ein Zwerg, steht aber aktuell im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit, denn es produziert etwa,s das dringend gebraucht wird: Lebensmittel. 

Besonders im Anbau von Soja ist Paraguay führend, lediglich drei Länder exportieren mehr: Argentinien, die USA und der Spitzenreiter Brasilien. Mit seinen südamerikanischen Nachbarländern teilt Paraguay auch die große Sorge, daß dem „Brotkorb der Welt“ das Düngemittel ausgeht. „Meine Vorräte reichen noch ein paar Wochen, dann muß ich nachkaufen“, so Holstein. Das ist aber ein Problem, denn die Preise für chemischen Dünger sind auf Höchstständen. 

Kein Land der Welt importiert soviel Getreide wie Ägypten

Verantwortlich dafür ist der Krieg in der Ukraine. Die Russische Föderation ist einer der größten Produzenten von Düngemitteln, das auch das ebenfalls von Sanktionen betroffene Weißrußland. 80 Prozent des brasilianischen Bedarfs an Düngemitteln werden importiert, allein 20 Prozent davon kommen aus Rußland. Agrarministerin Tereza Cristina verkündete Mitte März, die Vorräte reichten noch „bis Oktober“. Danach sei die Versorgungslage unklar. 

Doch die Farmer in den Mercosurländern spüren bereits jetzt die Auswirkungen des Krieges. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Kosten für eine Tonne Düngemittel um 129 Prozent. Das aber hat direkte Auswirkungen auf den Export von Weizen, Mais oder Soja. Denn je teurer der Dünger, desto weniger wird genutzt, desto geringer ist der Ertrag pro Hektar. 

Hinsichtlich des  ohnehin schon hohen Getreidepreises sind dies schlechte Nachrichten. Der steigt nicht erst seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine massiv an. Eine Rekorddürre in Argentinien, Brasilien und Paraguay sowie Überschwemmungen in China im vergangenen Jahr haben dafür gesorgt, daß sich etwa der Weizen seit April 2021 bis Ende Februar 2022 um etwa fünfzig Prozent verteuert hat. Seit in der Ukraine geschossen wird, steigt der Preis ungebremst weiter. Im Vergleich zum Vorjahr zahlten Käufer Ende März für die Tonne Weizen rund das Doppelte. 

Sowohl die Ukraine als auch Rußland zählen zu den größten Exporteuren von Weizen. Der Export aus der Ukraine ist aber durch die Kriegshandlungen teilweise zum Erliegen gekommen, der russische Export wird durch die Sanktionen verhindert. Längst sind auch in der EU diese massiven Verwerfungen auf dem internationalen Markt für Agrargüter spürbar. Dabei sind die Folgen für den individuellen Käufer im immer noch kaufkraftstarken Europa bisher zwar ärgerlich, aber überschaubar. In der erweiterten Nachbarschaft, etwa im Kaukasus oder dem Mittelmeerraum sind die Auswirkungen deutlich gravierender. Denn der Markt für Agrargüter ist ein globaler, Getreide, Öle, Fleisch – alles zirkuliert um den Globus, und reduziert sich das Angebot eines Guts, steigt automatisch der Preis ähnlicher Produkte. Länder, die bereits vor dem Konflikt in Schieflage waren, trifft das besonders hart. 

In der Türkei etwa waren bereits vor dem Krieg  mehr als elf Millionen Menschen, etwa 13 Prozent der Bevölkerung, auf staatliche Hilfe angewiesen. Die Schlangen vor den kommunal subventionierten Brotausgabestellen wachsen seit Monaten. Hier treffen die Preissteigerungen auf dem Weltmarkt auf eine offizielle Inflationsrate von 54,4 und eine inoffizielle von fast 125 Prozent. Auch in Ägypten ist die Lage dramatisch. Die Nation am Nil hat sich längst von seiner historischen Rolle als Kornkammer entfernt. Kein Land der Welt importiert soviel Getreide wie Ägypten. Etwa 13,2 Millionen Tonnen Weizen verbraucht die wachsende Bevölkerung pro Jahr, 80 Prozent davon kamen in den letzten Jahren aus Rußland und der Ukraine. Die Subventionierung der Brotpreise kostete das Entwicklungsland bereits vor dem Krieg 3,2 Milliarden Euro. In Tunesien ist es kaum anders.

Experten der Regierung in Kairo fürchten nun, daß sich diese Summe um weitere 760 Millionen Euro erhöhen wird. Kaum mehr zu stemmen für das Land, das in den vergangenen Jahren auf Druck des IWF im Sozialsektor weitreichende Kürzungen vornehmen mußte. Bisher galt die Subventionierung von Brot in der ägyptischen Politik als sakrosankt. Für fast 30 Prozent der Ägypter, die unter der Armutsgrenze leben, sind die staatlich garantierten Preise lebensnotwendig. Als 1977 unter Anwar Sadat die Subventionierung vorübergehend gestrichen wurde, brachen in Kairo Unruhen aus, deren Intensität die Gesellschaft bis heute traumatisieren.

EU spendiert Tschadseeregion und Sahelzone 554 Millionen Euro

Weiter südlich, im Jemen, der Sahelzone oder der Tschadseeregion ist die Lage noch schlimmer. Dort verschärft der Ukraine-Krieg eine ohnehin bestehende Lebensmittelknappheit. Das World Food Programme mußte bereits in der Vergangenheit seine Rationen kürzen. Nun will die EU mit immerhin 554 Millionen Euro vor allem in der Sahelzone korrigierend eingreifen. Ein Tropfen auf den heißen Stein, fürchtet ein Mitarbeiter der UN gegenüber dieser Zeitung. „Es ist ein perfekter Sturm aus steigenden Nahrungsmittelpreisen und steigenden Preisen für Düngemittel“, so der Diplomat. Denn „normalerweise reguliert sich eine Nahrungsmittelknappheit von selbst“. Landwirte, so die bisherige Erfahrung, stellen ihren Anbau um, produzieren mehr vom knappen Gut und bringen so über die Zeit Angebot und Nachfrage wieder in ein preisgünstigeres Gleichgewicht. 

Doch nun fehlt der Dünger, und in Argentinien hat sich die Winteraussaat aufgrund der Trockenheit verzögert. Für den UN-Entwicklungshelfer eine schwierige Lage: „Wir werden den Hungrigen die Rationen kürzen um die Verhungernden zu retten“, so das abschließende Fazit. Was bei einem Zusammenbruch der Lage in Ägypten passiere, das wolle er sich „gar nicht vorstellen“.

Foto: Mangelware Weizenfeld: Der Krieg Rußlands gegen die Ukraine bringt nicht nur Ägypten oder  Paraguay in Not