© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Altparteien in Trümmern
Frankreich: Macron und Le Pen in der Stichwahl um die französische Präsidentschaft
Friedrich-Thorsten Müller

Sie endete ohne große Überraschungen, aber sie war zwischenzeitig durchaus nochmals spannend. Auf diese Formel läßt sich die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahl bringen. Mit 27,6 Prozent konnte der amtierende Präsident Emmanuel Macron sein Ergebnis des ersten Wahlgangs von 2017 (24 Prozent) deutlich ausbauen. Aber auch seiner wichtigsten Rivalin, Marine Le Pen, gelang es, trotz des Auftretens des Rechtsaußens Éric Zemmour (7,1 Prozent), mit 23,4 Prozent, gegenüber 21,3 Prozent bei der letzten Wahl, zuzulegen. Spannend wurde der Wahlabend zusätzlich durch das gute Ergebnis für den Linksaußen Jean-Luc Mélenchon, der letztlich auf 22 Prozent kam. Bei den Hochrechnungen unterschied sich sein Ergebnis zeitweilig von dem Le Pens aber nur noch im Null-Komma-Bereich, so daß sogar Präsident Macron seine Ansprache an die Wähler sicherheitshalber bis 21.47 Uhr verzögerte.

Erfreulich aus Sicht der für die Stichwahl nominierten Macron und Le Pen ist, daß sie beide auch absolut an Stimmen zulegen konnten. Der Stimmenzuwachs beim amtierenden Präsidenten beträgt, trotz einer von 78,7 auf 65 Prozent eingebrochenen Wahlbeteiligung, 10,4 Prozent, der seiner Rivalin 5,6 Prozent. Als desaströs muß dagegen das Abschneiden der Republikaner (REP) und der Sozialisten (PS) betrachtet werden. Der Stimmenanteil der Schwesterparteien von CDU und SPD reduzierte sich von immerhin noch 26,4 Prozent 2017 auf zusammen nur noch 6,5 Prozent. Sowohl Valérie Pécresse (REP) mit 4,8 Prozent, als auch Anne Hidalgo (PS) mit 1,7 Prozent blieben unterhalb der Fünf-Prozent-Schwelle für die staatliche Wahlkampfkostenerstattung. 

Marine Le Pen punktete in Südfrankreich und im Nordosten

Während Pécresse vor allem ihr nicht gefundenes Profil zwischen Präsident Macron und einer gemäßigter auftretenden Le Pen zu schaffen machte, setzte Hidalgo die Wahlteilnahme der Grünen zu. Deren Kandidat, Yannick Jadot, kam auf 4,6 Prozent der Stimmen. Bei der Präsidentschaftswahl 2017 hatte er – trotz bereits erfolgter Nominierung durch seine Partei – letztlich zugunsten des sozialistischen Kandidaten noch auf eine Wahlteilnahme verzichtet. Taktisch agierende frühere Sozialistenwähler stärkten darüber hinaus auch den stärksten linken Bewerber, Jean-Luc Mélenchon. Bezogen auf das gesamte Bewerberfeld von 12 Kandidaten ist bemerkenswert, daß letztlich 58,2 Prozent der Stimmen auf Kandidaten entfielen, die in Deutschland als rechts- oder linksradikal gelten würden.

Auffallend auch bei diesem französischen Urnengang sind darüber hinaus die großen regionalen Unterschiede im Wahlverhalten. Marine Le Pen konnte wieder vor allem in Südfrankreich sowie im Nordosten punkten. Insgesamt war sie im ländlichen Raum und in den Kleinstädten, wo auch die Hochburgen der „Gelbwesten“-Proteste lagen, meist führend. In den 18 größten Städten des Landes dagegen kam sie meist nur auf Platz zwei oder drei. Lediglich in der Mittelmeerstadt Toulon erreichte sie mit 25,3 Prozent Platz eins und ein über ihrem landesweiten Durchschnitt liegendes Ergebnis, während sie sich in Paris mit Rang sechs und 5,4 Prozent begnügen mußte. 

Bezüglich der Altersstruktur der Wähler setzten sich am Sonntag die Trends früherer Wahlen fort: Macron konnte die überwältigende Mehrheit der Rentner für sich gewinnen, während Marine Le Pen bei der erwerbstätigen Bevölkerung in Führung ging.

Die Franzosen haben nun zwei Wochen bis zur Stichwahl Zeit, sich für einen der beiden Kandidaten zu entscheiden. Eine wichtige Rolle dürfte dabei auch diesmal das seit 1974 übliche TV-Duell zwischen den Stichwahlteilnehmern spielen. Schon 2017 standen sich Macron und Le Pen gegenüber. Macron punktete damals mit Detailwissen als vorheriger Wirtschaftsminister, während Le Pen sich schwertat, zwischen den Wahlgängen ihre Forderung nach einem Euro-Austritt abzuschwächen.

 Aus Macrons Wahlansprache am Sonntag abend herauszuhören war, daß er versuchen wird, seinen Amtsbonus auszuspielen und Le Pens „Entteufelung“ rückgängig zu machen. Gleichzeitig warb er um alle Wähler der ausscheidenden Kandidaten, einschließlich derer Zemmours, der aber seinerseits nach Bekanntgabe der Ergebnisse eine Wahlempfehlung zugunsten Marine Le Pens aussprach. Die Rassemblement-National-Kandidatin wird dagegen versuchen, Macron als Globalisten mit vielen sozialen Härten für die Franzosen zu stellen. Insbesondere die von Macron geforderte unpopuläre Rente mit 65 könnte seinen Erfolg noch gefährden. 

Das Rennen wird enger sein als vor fünf Jahren 

Wenn es nach dem Willen der unterlegenen Kandidaten ginge, hätte Macron die Stichwahl allerdings bereits heute gewonnen: Während sich für Le Pen im zweiten Wahlgang nur Zemmour – und indirekt der Euroskeptiker Nicolas Dupont-Aignan – aussprechen, kann Macron wieder auf die altbewährte „republikanische Front“ gegen „Rechtsextreme“ zählen. Der mächtige linke Bewerber Jean-Luc Mélenchon forderte am Wahlabend mehrfach seine Wähler auf, nicht Le Pen zu wählen. Der grüne Kandidat Jadot und die Sozialistin Hidalgo riefen ihre Anhänger sogar ausdrücklich auf, ihre Stimmen Macron zu geben. Gleiches tat – „unter Vorbehalt“ –  Valerie Pécresse. Ob die Gegenrede ihres für die Republikaner-Präsidentschaftskandidatur unterlegenen Gegenspielers, Éric Ciotti, der Macron nicht wählen will, Gewicht hat, bleibt abzuwarten. Fest zu stehen scheint: Das Rennen wird enger sein, als vor fünf Jahren, als Macron noch mit 66,1 zu 33,9 Prozent für Le Pen siegte.

Foto: Präsident Emmanuel Macron bedankt sich bei seinen Wählern: Mit 27,6 Prozent konnte er sein Ergebnis des ersten Wahlgangs von 2017 (24,0 Prozent) deutlich ausbauen