© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Die Nato lockt und Moskau zürnt
Nato: Moskaus Kriegskurs verleiht der Verteidigungskooperation im Norden neuen Schub
Paul Leonhard

Die Nato-Bündnispartner wollen die Unterstützung für die Ukraine weiter verstärken. Das ist das Ergebnis eines Treffens der Nato-Außenminister in Brüssel. „Die Verbündeten haben die schrecklichen Morde an der Zivilbevölkerung in Butscha und anderen Orten, die kürzlich von der russischen Kontrolle befreit wurden, aufs schärfste verurteilt. Die Bündnispartner haben viel getan und sind entschlossen, jetzt und mittel- und langfristig noch mehr zu tun, um den tapferen Ukrainern zu helfen, ihre Heimat und ihr Land zu verteidigen und die Invasionstruppen zurückzudrängen“, betonte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Beisein des ukrainischen Außenministers Dmytro Kuleba, der sich für die umfangreiche Unterstützung der Nato-Staaten bedankte. 

Außerdem arbeitet die Nato an einem neuen strategischen Konzept, das auf dem Madrider Gipfel im Juni fertiggestellt werden soll und die künftigen Beziehungen zu Rußland und den wachsenden Einfluß Chinas auf die Sicherheit des Bündnisses berücksichtigen muß. 

Moskaus Kriegskurs verleiht aber auch der Verteidigungskooperation im Norden neuen Schub. So verändert der Krieg in der Ukraine das sicherheitspolitische Kalkül in Finnland fundamental. Während es in Schweden im Dezember 2020 erstmals eine Parlamentsmehrheit für die Vorbereitung einer Nato-Beitrittsoption gab, kippt  auch in Finnland die Stimmung. Beide Länder wollten ihre Neutralität aufgeben.

Finnland, das erste Land, das nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches seine Selbständigkeit erklärte und diese in zwei Kriegen gegen die Sowjetunion tapfer (wenn auch mit gravierenden Gebietsverlusten) verteidigte, macht derzeit Tempo. Unmittelbar nach Ostern werde das Parlament darüber beraten, kündigte die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin inzwischen an. Eine Entscheidung werde noch vor dem Nato-Gipfel im Juni in Madrid fallen.

Rußland: Ein Nato-Beitritt Finnlands wird Folgen haben

Zuvor hatte bereits Nato-Generalsekretär Stoltenberg Finnland wie Schweden ermutigt, einen Aufnahmeantrag zu stellen; und eine „zügige positive Antwort“ in Aussicht gestellt. Schweden, das 2017 die Wehrpflicht wieder einführte, sorgt sich um die Sicherheit der von 60.000 Menschen besiedelten, als strategisch wichtig geltenden Ostseeinsel Gotland, die nur 330 Kilometer von der russischen Enklave Königsberg entfernt liegt und von der aus sich die gesamte Region kontrollieren läßt. Das schwedische Parlament hatte schon im Dezember 2020 mit großer Mehr­heit für einen künftigen Beitritt des Landes zum Bündnis gestimmt.

Militärisch arbeiten die beiden Bündnisfreien bereits als Konsequenz aus dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine zusammen. „Unsere Länder sind nicht direkt bedroht, aber es ist klar, daß wir die Sicherheit in unserer eigenen Region gemeinsam bewerten müssen“, sagte Sanna Marin nach einem Treffen mit der schwedischen Regierungschefin Magdalena Andersson in Helsinki.

 Auch bezüglich der Ausstattung ihres Militärs insbesondere mit Flugabwehrsystemen gibt es hektische Aktivitäten. So vereinbarte Finnlands Präsident Sauli Niinistö bei einem Gespräch mit US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus, zu dem zeitweise die schwedische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson telefonisch zugeschaltet war, eine intensivere Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen. Finnland, das eine mehr als 1.300 Kilometer lange Grenze mit Rußland hat, hatte sich bereits in seinem Verteidigungsbericht vom September beunruhigt von den „gestiegenen militärischen Aktivitäten“ in der Ostseeregion gezeigt. Diese würden die Spannungen im internationalen Sicherheitsumfeld widerspiegeln.

Rußland hat Schweden angesichts des Stimmungswandels im Land bereits vor „schwerwiegenden Konsequenzen“ gewarnt, sollte es dem Bündnis beitreten. Die russische Warnung vor einer weiteren Ost-Erweiterung der Nato betreffe nicht nur die Ukraine, sondern auch Finnland und Schweden, hatte das Moskauer Außenministerium am 24. Dezember 2021 mitgeteilt, diese Warnung dann aber wieder zurückgezogen. Moskau respektiere die Sou­veränität der beiden nordischen Länder, allerdings sei die „Neutralität Finn­lands und Schwedens ein essentieller Teil der euro­päischen Sicherheitsordnung“, so Außenminister Sergei Lawrow. Und am 25. Februar warnte die Pressesprecherin des Kremls, Marija Sacharowa, in einem Tweet, daß ein Nato-Beitritt Finnlands „ernsthafte militärische und politische Folgen“ hätte.