© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Das sanktionierte Rußland begleicht seine Dollar-Anleihen in Rubel
Erzwungene Staatspleite
Thomas Kirchner

Noch am 21. März zahlte Rußland auf seine Staatsanleihen Zinsen in Dollar. Die am 4. April fälligen Zahlungen fallen nun unter die Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs. Als Ausweg zahlt Rußland jetzt in Rubel. Anleihen in Fremdwährung im Wert von 40 Milliarden Dollar sind betroffen, Unternehmensanleihen dagegen kaum. Gemäß den Anleihebedingungen ist eine Zahlung in Dollar bzw. Euro verpflichtend. Werden die Pflichten verletzt, ohne daß es zu einem Zahlungsausfall kommt, spricht man von einem „technischen Ausfall“. Das kommt bei Unternehmensanleihen ab und zu vor. Meist stimmen die Halter der Papiere Änderungen der Bedingungen zu, bevor es zum Ausfall kommt. Manchmal leistet das Unternehmen eine Sonderzahlung, um die Zustimmung zu erhalten.

Doch Rußland suchte nicht einmal Zustimmung. Das letzte Wort werden nun die Gerichte haben: Für Juristen eröffnen die Sanktionen lukrative Einnahmequellen. Denn daß ein Gläubiger zahlungwillig und -fähig ist, aber nicht zahlen darf, ist noch nie vorgekommen. Bei der Euro-Einführung existierten die alten Währungen (D-Mark, Franc usw.) nicht mehr. Gläubiger hätten einen Zahlungsausfall geltend machen und Kreditsicherheiten einziehen können. Um dies zu vermeiden, verabschiedeten zahlreiche US-Bundesstaaten Gesetze, die den Euro als Nachfolgewährung anerkannten. Im angelsächsischen Gewohnheitsrecht könnte dies einen Präzedenzfall darstellen, der eine Zahlung in Rubel statt Dollar ermöglicht. Bei anderen Währungsumstellungen gab es Rechtsstreitigkeiten: Gläubiger deutscher Kommunen mit in Goldmark notierten Anleihen prozessierten noch lange nach Einführung der D-Mark vor US-Gerichten und bestanden auf Auszahlung in Gold. Rußland wird vor Gericht argumentieren, die Zahlung in Rubel statt Dollar und Euro ähnele einer sanktionsbedingten Währungsumstellung.

Selbst wenn Anleger ein Vollstreckungsurteil gegen Rußland erwirken sollten, könnten sie es nicht umsetzen, denn die erheblichen Vermögenswerte Rußlands im Westen fallen unter Sanktionen und können nicht zur Begleichung von Schulden genutzt werden. Diese Erfahrung machten Anleger einer venezolanischen Anleihe, die durch Aktien der US-Tankstellenkette Citgo besichert waren. Als das sanktionierte Venezuela die Zahlungen einstellte, sprach ein US-Gericht den Anlegern die Aktien zu. Doch das US-Finanzministerium verbietet seit 2018 die Übertragung der Aktien zur Tilgung der Schuld. Die Ratingagentur S&P will eine Rubelzahlung als bedingten Zahlungsausfall werten und danach keine Bewertung der Anleihen mehr vornehmen. Mehr Auswirkungen wird die Entscheidung des Verbands der Derivatehändler haben, von der abhängt, ob Kreditausfallversicherer zahlen müssen. Sollte das so sein, stünde man bei der Bestimmung der Zahlungshöhe vor dem nächsten Problem: Normalerweise wird dieser Betrag in einer Auktion ermittelt. Doch angesichts der Sanktionen wäre eine solche Auktion möglicherweise illegal. Anlegern droht ein doppelter Totalverlust: die Kredite und auch noch die Kreditversicherungen. 

Versicherungen über etwa 40 Milliarden Dollar stehen aus – das ist kein Betrag, der größere Auswirkungen auf das Finanzsystem hat. Für Rußland ist ein Zahlungsausfall lediglich ein Ärgernis. Es sind die Anleger im Westen, die ihr Geld nicht bekommen.