© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Wenn Geist und Leben die Kirche verlassen
Eine Krise jenseits der Glaubenskrise
(ob)

Zivilisationen sind sterblich, Kirchen auch.“ An diese Warnung Hans Maiers, langjähriger bayerischer Staatsminister und Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, erinnert sich der ehemalige Bundestagspräsident und Katholik Norbert Lammert (CDU), wenn er sich über die „erschreckende Erosion einer bedeutenden Institution“ sorgt (Herder Korrespondenz, 3/2022). Der historisch gebildete Politikwissenschaftler Maier habe erkannt, daß sich nichts auf Dauer schützen und konservieren lasse, wenn „Geist und Leben“ schwächer würden und abstürben. Lebendig bleibe nur, was bei den Menschen Wurzeln schlage und fortbestehe. Daraus sollte die katholische Kirche in ihrem Zustand den Schluß ziehen, sich stärker als bisher den Gläubigen zuzuwenden. Seit Jahrhunderten sei ihr Selbstverständnis durch eine theologisch überhöhte Privilegierung des Klerus und die nie wirklich ernst genommene Rolle der Laien gekennzeichnet. Dabei lebe doch die Funktionsfähigkeit der Gemeinden in erster Linie vom unverzichtbaren Einsatz der Laien, „insbesondere von Frauen, deren Bedeutung für das Kirchenleben in geradezu demütigender Weise ignoriert wird“. Es sei also in „Zeiten dramatischer Veränderung“ dringend geboten, sich an die vom Zweiten Vatikanischen Konzil formulierte Dogmatische Konstitution „Lumen Gentium“ zu erinnern. Darin sei das Apostolat der Laien als Teilhaber der Heilssendung der Kirche ausdrücklich bekräftigt worden. Über ein halbes Jahrhundert später sei die kirchliche Alltagspraxis, jenseits der ohnehin akuten „Glaubenskrise“, von solchen Einsichten in notwendige Reformen der Institution Kirche jedoch immer noch weit entfernt. 


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