© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Abseits der offiziellen Staatskunst
Ausstellung: Die Schau „Kunst für Keinen 1933–1945“ in der Frankfurter Schirn widmet sich Künstlern der „Inneren Emigration“
Claus-M. Wolfschlag

Differenzierung: Schon deswegen ist die Schau „Kunst für Keinen“ in der Frankfurter Kunsthalle Schirn begrüßenswert. Zwar geht es um die Zeit des Nationalsozialismus, und bei deren Betrachtung dominieren bis heute politisch erwünschte Schwarz-Weiß-Schemata. Doch „Kunst für Keinen“ bleibt sachlich und läßt bewußt Grautöne zu. Nüchterne Distanz der Betrachtung steht überraschend deutlich vor aktueller Bekenntnissucht. 

Das zeigt sich bereits beim wenig reißerischen Betrachtungsgegenstand. So geht es weder um die pauschale Verehrung der Exilanten noch um die Verteufelung der Regimetreuen. Statt dessen steht eine Gruppe im Fokus, der lange nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit in der Reflexion der NS-Zeit zuteil wurde. Es geht um die „Innere Emigration“, also um diejenigen, die während der NS-Zeit im Land blieben, Abstand zur Regierung wahrten, teils weiterarbeiteten, teils mit Restriktionen zu leben hatten. Das „innere Exil“ fand sich vor allem in der Literatur und der Kunst. Seine Geschichte bietet manche Parallele zur Gegenwart.

Zwar versucht der Einführungs-Wandtext der Ausstellung auch den aktuellen ideologischen Mainstream kurz zu bedienen, indem es dort heißt: „Während ihr Bleiben und Weiterarbeiten in der Nachkriegszeit als künstlerischer Widerstand interpretiert wurde, sehen wir viele Lebensläufe heute kritisch und hinterfragen die apologetischen Narrative der Nachkriegszeit.“ Doch glücklicherweise ist von Verfemung in der Schau keine Spur mehr zu finden. Vielmehr wird bei den vorgestellten Künstlern stellvertretend auf die „große Vielfalt an künstlerischen Ausdrucksformen“ verwiesen, die während der NS-Zeit neben der offiziell präsentierten Staatskunst existierte. Die Kunst des „inneren Exils“ fand allerdings unterhalb der Ebene öffentlicher Sichtbarkeit oder gar der Wertschätzung des Staats- und Medienapparates statt.

Ein „Malverbot“ für verfemte Künstler existierte nicht

Bekanntlich war das NS-System kulturell repressiv. Als zentrales Organ zur Überwachung von Kunst und Geistesleben fungierte die Reichskulturkammer, die dem Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstand. Film, Rundfunk, Presse, bildende Kunst, Theater, Musik und Schrifttum unterlagen also staatlicher Überwachung. Künstlerische Tätigkeiten konnten nur bei gleichzeitiger Mitgliedschaft in der Reichskammer der bildenden Künste öffentlich ausgeübt werden. Andernfalls konnte man sich zwar künstlerisch betätigen, aber nicht an öffentlichen Ausstellungen, Wettbewerben und Auktionen teilnehmen.

Ein „Malverbot“ für verfemte Künstler existierte allerdings nicht, worauf die Ausstellung auch hinweist. Über private Kontakte konnten sogar öffentlich Verfemte weiterhin Werke verkaufen. Ausschlüsse aus der Reichskammer kamen seltener vor als gemeinhin angenommen. Doch selbst Mitglieder konnten denunziert und als „entartet“ bewertet werden, was zu Beschlagnahmungen entsprechender Werke aus öffentlichen Sammlungen führen konnte. „Entartete Kunst“ konnte dann zudem in der gleichnamigen Anprangerungsausstellung 1937ff. öffentlich vorgeführt werden. 

„Kunst für Keinen“ weist darauf hin, daß sich der Begriff „Innere Emigration“ nicht auf eine eindeutig zu umreißende Gruppe bezieht. Zwar waren ihre Vertreter an den Rand der Gesellschaft gedrängt, äußerten oft Gefühle der Isolation. Doch läßt sich daraus nicht grundsätzlich eine eindeutig widerständlerische Position ableiten, zumal manche Künstler sich nicht explizit in diese Richtung äußerten.

Das gibt der Frankfurter Schau allerdings eine Spur von Willkürlichkeit in ihrer Auswahl. Warum diese 14 Künstler und nicht manch anderer? Warum überhaupt die Verengung auf die „Innere Emigration“? Würden nicht direkte Vergleiche zu staatsnahen und Exilkünstlern ein noch deutlich vielfältigeres Bild des deutschen Kulturlebens zwischen 1933 und 1945 vermitteln?

So sind die gezeigten Exponate sehr heterogen und ohne großen Bezug zueinander. Am eindeutigsten war die Lage für die kommunistischen Künstler. Das ehemalige KPD-Mitglied Hans Uhlmann konnte während seiner Haft in der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel originelle Zeichnungen von Drahtskulpturen anfertigen. Während der NS-Zeit zurückgezogen arbeitend, trat er nach 1945 als „antifaschistischer“ Maler wieder an die Öffentlichkeit. Bei Lea Grundig kam hinzu, daß sie zusätzlich zum KPD-Engagement noch aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie stammte. Mehrfach wurde sie verhaftet. Sie verarbeitete in Radierungen ihre Erfahrungen mit Isolation, Antisemitismus und NS-Terror. 1938 konnte sie nach Palästina fliehen. Ihr Ehemann Hans Grundig, ebenfalls ein KPD-Mann, wurde 1936 aus der Reichskammer der bildenden Künste ausgeschlossen. In Graphiken stellte er die Nationalsozialisten als Wölfe dar. Die Entmenschlichung und Vertierung des politischen Gegners ist ein altes Stilmittel politischer Agitation quer durch die Lager. Der Bildhauer Rainer Opolka übrigens hat Grundigs Zeichnungen für seine seit einigen Jahren durch die Städte tingelnde „antifaschistische“ Propagandaschau „Die Wölfe sind zurück“ inhaltlich abgekupfert. Machtverhältnisse ändern sich. Mußte Grundig noch versteckt arbeiten, rollen den Opolkas heute Regierungspolitiker den roten Teppich aus.

Andere gingen sehr viel ambivalenter mit den kulturellen Verhältnissen in der NS-Zeit um. Werner Heldt exilierte nach der NS-Machtergreifung nach Mallorca, wurde aber 1936 durch den Spanischen Bürgerkrieg zur Rückkehr gezwungen. Er wurde Mitglied der Reichskammer und arbeitete in der Ateliergemeinschaft Klosterstraße sowohl mit regimekritischen als auch mit regimetreuen Künstlern zusammen. Seine teils menschenleeren, teils von gleichförmigen Kundgebungsmassen bevölkerten Stadtlandschaften ermöglichen viele nachdenkliche Bezugnahmen auf unsere Gegenwart. Fast wirkt es, als bildeten die Szenen heutige Lockdowns, Ausgangssperren und staatlich inszenierte Demonstrationen ab.

So interessant das Thema aus der historischen Sicht ist, so viel Mittelmaß auf künstlerischer Ebene zeigt die Schau bisweilen in den Exponaten. Am schwächsten sind die ausgestellten Zeichnungen Willi Baumeisters, der nach der Bloßstellung in der Schau „Entartete Kunst“ im Labor eines Lackfabrikanten arbeitete. In der Schirn sind einige Kritzeleien aus seiner Hand zu sehen, die er auf Postkarten des NS-Malers Adolf Ziegler und Arno Brekers hinterließ, darunter Penisgesichter. Damals eine Provokation, heute nur Pennäler-Niveau ohne künstlerischen Wert.

Doch gibt es Exponate von hoher Qualität, die hervorstechen und die Schau auch für das Auge attraktiv machen. Otto Dix und seine künstlerische Umorientierung nach 1933 ist ein bekanntes und des öfteren bereits publiziertes Beispiel für die Abkehr von Weimarer Befindlichkeiten und den neuen künstlerischen Wind der dreißiger Jahre. Der breiten Öffentlichkeit weniger bekannt ist hingegen Franz Radziwill. Dieser trat 1933 in die NSDAP ein und wurde kurz darauf an die Düsseldorfer Kunstakademie berufen. Doch schon damals sorgte Mobbing für manchen Karriereknick. „Woke“ Studenten denunzierten ihn und sein expressionistisches Frühwerk 1935 bei der Akademieleitung. Wie sich die Zeiten ähneln. Es folgten Rückzug, die Beschlagnahmung von 200 Werken im Zuge der Aktion „Entartete Kunst“ und das Verbot von Einzelausstellungen. Dennoch arrangierte sich Radziwill mit den Verhältnissen, wurde Kreiskulturstellenleiter im Kreis Friesland und erhielt private und öffentliche Aufträge. Die Schirn zeigt einige seiner außergewöhnlichen, düster-symbolistischen Gemälde, die den Betrachter geradezu magisch in die Szenerie ziehen.

Auch Hannah Höchs Werk weckt Interesse. Die Malerin war zwar Mitglied der Reichskammer, doch ergaben sich nach der Machtergreifung kaum noch Ausstellungsmöglichkeiten für sie. Zudem wurde sie in der Schrift „Säuberung des Kunsttempels“ des SS-Graphikers Wolfgang Willrich attackiert. Höch zog sich zurück und lebte vor allem von Illustrationen. Mit ihren aufeinander Bezug nehmenden Gemälden „Wilder Aufbruch“ von 1933 und „1945 (Das Ende)“ schuf sie eine Art Allegorie von zwölf überhitzten Jahren der NS-Herrschaft.

Die Ausstellung „Kunst für Keinen 1933–1945“ ist bis zum 6. Juni in der Schirn Kunsthalle, Römerberg, Frankfurt am Main, täglich außer montags von 10 bis 19 Uhr, Mi./Do. bis 22 Uhr, zu sehen. Telefon: 069 /29 98 82-0

 www.schirn.de

Foto: Hans Grundig, Kampf der Bären und Wölfe, Öl auf Sperrholz, 1938 (o.); Otto Dix, Judenfriedhof in Randegg im Winter mit Hohenstoffeln, Öl auf Holz , 1935