© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Umwelt
Extremer Klimaverstoß
Tobias Albert

Inspiriert durch die freitäglichen Schulschwänzer haben sich vor drei Jahren deutschsprachige Wissenschaftler als „#Scientists4Future“ zusammengeschlossen, um für eine radikale CO2-Reduktion zu agitieren. Doch wer Forderungen an andere stellt, sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Daher untersuchten Astronomen um Jürgen Knödlseder (Universität Toulouse) den durchschnittlichen CO2-Fußabdruck ihrer Forschungskollegen. Weltraummissionen und Bodenstationen setzen demnach jährlich eine Million Tonnen CO2-Äquivalent frei, was einem Wert von 36,6 Tonnen pro Astronom entspricht, so die Schlußfolgerung der Studie „Estimate of the carbon footprint of astronomical research infrastructures“, die im Magazin Nature Astronomy veröffentlicht wurde. Damit das ausgestoßene CO2 durch natürliche Prozesse wieder in Wäldern und Ozeanen gebunden werden kann, müßte sich der weltweite Durchschnittswert auf zwei Tonnen pro Person einpendeln.

Der CO2-Pro-Kopf-Ausstoß von Astronomen liegt mit 36 Tonnen pro Jahr auf dem Niveau des Öl-Emirats Katar.

Der Astronomen-Fußabdruck liegt auf dem Niveau von Katar (38,8 Tonnen) und weit über dem, was ein Bürger in Deutschland, Südafrika oder im Iran (je 8,5 Tonnen) statistisch verursacht. Demnach könnte der WDR-Kinderchor „Der Astronom ist eine alte Umweltsau“ als Lied einstudieren. Methodologisch ist die Studie zwar sauber, kämpft aber mit einer prekären Datenlage. So hat die Europäische Raumfahrtorganisation ESA die Ökobilanz ihrer Projekte analysiert, doch lediglich die relativen Anteile verschiedener Projektstufen veröffentlicht, so daß sich die Forscher an diesen entlanghangeln. Eine Gesamtübersicht aller Astronomen und Astrophysiker gibt es nicht und daher keine Zahl, um die Pro-Kopf-Emissionen zu berechnen, sondern erneut nur Hochrechnungen anhand unvollständiger Daten. Daher hat der geschätzte Pro-Kopf-Ausstoß eine Schätzunsicherheit von 14 Tonnen.

 nature.com