© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/22 / 15. April 2022

Der Flaneur
Schiet wat drauf
Elke Lau

Seit Wochen wirbt die Stadt für Beteiligung an einer Müllsammelaktion. Heute ist es soweit. Auf dem Weg zum Wochenmarkt treffen wir an der Parkanlage gegenüber Sportplatz, Naturschutzbund und Wetterstation, im wesentlichen Hundeauslaufgebiet, auf eine akkurat gekleidete Frau. Sie hält uns an und zeigt auf den Inhalt ihrer blauen Plastiktüte.

„Nun sehen Sie sich das an! Beim Aufruf zum Müllsammeln hatte ich keine Ahnung, daß ich Flachmänner, zerbrochene Bierflaschen, Tüten mit Hundekot, Kaffeebecher, Pizzakartons und anderen Unrat vorfinde. Ekelhaft.“

„Wenn Sie denken, daß Sie mit dieser Tätigkeit dazu beitragen, die grassierende Wohlstandsverwahrlosung zu verhindern, dann glauben Sie sicher auch, daß ein Zitronenfalter ein Mann ist, der Zitronen faltet.“

Mein Kommentar scheint ihren Ärger noch zu steigern.

Sie wickelt sich in eine überdimensionale Ukrainefahne und geht zu Fuß weiter.

Keine zehn Meter weiter vergammeln mehr als fünfzig Garagen, überwuchert mit Brombeersträuchern. Die hatten uns in den letzten Jahren mit köstlichen Früchten versorgt. Ein Trupp Arbeiter hantiert vor einem Bauwagen mit schwerem Gerät.

 „Reißen Sie die Garagen ein?“ ruft Begleiter Uli ihnen neugierig zu.

„Nein, wir müssen die Sträucher kappen.“

„In Neuseeland werden Grundstücke bei Brombeerbewuchs wertlos.“

„Ja, wenn die Wurzeln nicht entfernt wurden.“

„Na, da haben Sie jetzt Schwerstarbeit vor sich.“

Der Vorarbeiter grinst: „Nee, wir haben nur den Auftrag, die Sträucher abzusägen, aber nicht auszugraben.“

 In der Fußgängerzone überholt uns eine Frau mit klobigem Lastenfahrrad, bremst abrupt und stellt das Gefährt quer. Sie wickelt sich in eine überdimensionale Ukrainefahne und geht zu Fuß weiter.

Auf dem Markt herrscht reger Betrieb. Zu unserer Freude steht der Bäckerstand am  gewohnten Platz, und die heißbegehrten, handgemachten Streuselschnecken sind noch nicht ausverkauft. Wir zeigen auf die mit dem dicksten Zuckerguß und lassen uns vier Stück einpacken. Schiet wat uff die schlanke Linie.

Hinter uns, am Eingang der Bankfiliale, schwenkt die Aktivistin beifallheischend ihr blaugelbes Tuch.