© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

„Es ist eine Art Kirche“
Ausstieg: Lange gehörte er zu den bekanntesten Köpfen der US-Klima- und Umwelt­bewegung. Heute beschreibt der Publizist Michael Shellenberger, dessen erstes Buch unlängst auf deutsch erschienen ist, sie als eine apokalyptische Sekte – die auch den Ukraine-Krieg mit verursacht habe
Moritz Schwarz

Herr Shellenberger, was bitte hat der Alarmismus der Klimabewegung mit dem Krieg in der Ukraine zu tun?

Michael Shellenberger: Erst mal möchte ich Ihnen sagen, wie unglaublich froh ich bin, daß mein Buch „Apokalypse, niemals!“ nun auch auf deutsch erschienen ist. Warum? Weil Ihr Land eines der wichtigsten der Welt ist, eine europäische Führungsmacht und eines, das ich sehr mag, mit dem ich mich viel beschäftigt und das ich oft besucht habe, um Politiker, Journalisten, Aktivisten und Freunde zu treffen. 

Äh, danke. 

Shellenberger: Sie denken, ich will Ihnen schmeicheln? Falsch. Ich sage das aus einem anderen Grund: um klarzumachen, daß die folgende Kritik zwar ernst, aber nicht böse, sondern in Freundschaft gemeint ist: Deutschland ist für die grauenvollen Ereignisse in der Ukraine mitverantwortlich! Und zwar, weil es auf fatale Weise „überabhängig“ von russischem Erdgas geworden ist. Wovor ich die Deutschen immer gewarnt habe. Doch stets wurde mir erklärt, meine Sorge sei unbegründet, da damit nicht Deutschland von russischem Gas abhängig sei, sondern Rußland von deutschem Geld. Nun aber ist – leider auf katastrophale Weise – offenbar geworden, was ihr Deutschen euch da die ganze Zeit eingeredet habt! 

Inzwischen hat die deutsche Politik doch eine „Zeitenwende“ (Kanzler Scholz) verkündet. 

Shellenberger: Aber am Hauptgrund für seinen Irrweg hält Deutschland fest: an seiner Politik der Energiewende. Und deshalb ist mein Buch durch den Ukraine-Krieg nun plötzlich sogar noch aktueller als beim Erscheinen der US-Originalausgabe 2020!

Sie meinen, nicht Merkels und Steinmeiers Rußlandpolitik sind schuld an unserer unfreiwilligen Unterstützung von Putins Krieg, sondern die Energiepolitik und somit die Grünen, von denen diese eigentlich stammt?

Shellenberger: Mir geht es nicht um Personen oder Parteien, sondern darum, daß Deutschland sich seit 2011, dem Beginn der Energiewende, endgültig in eine Phantasiewelt verstiegen hat. Das Grauen des Krieges aber sowie die fatale Energiepreiskrise hätten nun eigentlich zu einem zwar bösen, aber immerhin endgültigen Erwachen der Deutschen aus ihrem Energietraumland führen müssen – doch viele Deutsche wollen es immer noch nicht verstehen!   

Im Gegenteil, Politik und Medien sehen Krieg und Krise als Bestätigung der Energiewende: Hätte man die früher vollzogen, wäre man längst unabhängig von Putins Gas. 

Shellenberger: Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, einige wollen einfach nicht aufwachen. Ursprünglich war die Idee, Deutschland würde immer weniger russisches Gas benötigen. In der Realität aber zeigte sich das Gegenteil – weil Deutschland nämlich zugleich CO2-Ausstoß, Lufverschmutzung und Kohleverbrauch verringern wollte.  

Was hätte Deutschland statt dessen tun sollen?

Shellenberger: Zum Beispiel seine unglaublichen Kernkraftwerke nicht abschalten! Denn in Deutschland gibt es, zusammen mit Japan, die wohl hochstehendste Ingenieurskunst der Welt und deshalb auch diese wundervoll fortschrittlichen Atomkraftwerke. Ich sage Ihnen, mir bricht es wirklich beinahe das Herz, sehen zu müssen, wie die hohe Kunst, so etwas bauen zu können, in Deutschland der Anti-Atom-Hysterie zum Opfer fällt! 

Auf die meisten Deutschen dürfte so eine fast poetische Liebeserklärung an die Kernkraft verstörend wirken. 

Shellenberger: Mit Poesie hat das nichts zu tun, sondern damit, daß solche Könnerschaft auf dem Feld der Atomtechnologie Garant für energiepolitische Unabhängigkeit und damit für nationale und europäische Sicherheit ist. Selbst Putin hat das begriffen, weshalb er Atomkraftwerke baut und sein Gas lieber verkauft – während Deutschland sich durch das genaue Gegenteil immer tiefer in die Abhängigkeit von ihm manövriert hat. 

Aber Kernkraft birgt nun einmal ein exorbitantes Restrisiko. Denn auch wenn es hier keine Tsunamis gibt, hat Fukushima doch gelehrt, daß, selbst wenn Atomanlagen an sich fast sicher sein sollten, dritte Faktoren auftreten, die doch zum GAU führen können. 

Shellenberger: Das sehe ich bei den neuen Atomkrafttechnologien nicht mehr. Aber bitte, wenn man Atomenergie partout nicht will, hätte Deutschland mehr Flüssigerdgas – Liquefied Natural Gas, kurz LNG – im Westen einkaufen können. Oder aber auf Kohle setzen – nur bedeutet die natürlich erheblichen CO2-Ausstoß sowie eine massive Belastung der deutschen Landschaft durch Tagebau. Besser als Putins Gas wäre Kohle jedoch allemal gewesen – und besser als Kohle, westliches LNG und, besser als das, moderne Kernkraft.   

Kernkraft als Zwischen- oder endgültige Lösung? 

Shellenberger: Die Kernkraft wird einmal zur Kernfusion führen – und dann basiert die Weltwirtschaft auf Wasserstoffenergie. Doch gebe ich zu: Bis dahin wird es länger dauern, als wir heute glauben. 

Nämlich? 

Shellenberger: Die Weltwirtschaft muß bis dahin wohl für längere Zeit auf zwei Säulen ruhen: Flüssigerdgas und immer bessere Atomkraft, die heute wasser-, künftig metall- oder chemisch gekühlt ist. 

Was heißt denn „längere Zeit“ konkret? 

Shellenberger: Seien wir ehrlich, mindestens Jahrzehnte, wahrscheinlicher sogar Jahrhunderte.

Und Deutschland will sich bis dahin eben nicht der Gefahr von Kernspaltung aussetzen – und bis zur Fusion mit erneuerbarer Energie überbrücken. 

Shellenberger: Und da sind wir wieder im deutschen Phantásien: Denn es ist nicht möglich, eine Hochenergieindustrienation zuverlässig mit Erneuerbaren zu betreiben – das wird schiefgehen! Sonne, Wind, Wasser sind Energieformen aus vorindustrieller Zeit, mit inhärenten Problemen, die sie für die Ansprüche von Hochtechnologienationen als Hauptenergiequelle unbrauchbar machen. Und bevor Sie als nächstes mit dem Atommüll kommen, lassen Sie mich sagen, daß dieser dank der Wiederaufbereitung nicht Teil des Problems, sondern der Lösung ist. Denn tatsächlich ist die Menge an wiederaufbereitetem Nuklearabfall noch schockierend gering. In den USA etwa, dem Land mit den meisten Atomkraftwerken weltweit, paßt er, aufgeschichtet auf etwa fünfzehn Meter, auf ein einziges Footballfeld. In der Wiederaufbereitung liegt also ein Potential, das wir nutzen sollten! 

Heute sprechen Sie mit Enthusiasmus über Kernkraft, früher aber haben Sie eindringlich vor ihr gewarnt. 

Shellenberger: Das stimmt – ich war einmal ein „Gläubiger“. 

Noch 2008 fand sich Ihr Name auf der „Helden der Umwelt“-Liste des „Time“-Magazin  – 2020 dagegen haben Sie sich öffentlich entschuldigt. Was war passiert? 

Shellenberger: Die Wahrheit ist, daß ich – 20 Jahre Klimaaktivist und 30 Jahre Umweltschützer – Klima-Panikmache betrieben habe. Natürlich, der Klimawandel findet statt! Aber er ist nicht das Ende der Welt, ja nicht einmal unser schlimmstes Umweltproblem. Doch wir Klima- und Umweltschützer haben die Öffentlichkeit darüber getäuscht. So daß zum Beispiel laut einer weltweiten Umfrage 2019 die Hälfte der Menschen glaubte, der Klimawandel werde die Menschheit auslöschen. Oder: 2020 hatten laut Umfrage zwanzig Prozent der britischen Kinder Klimawandel-Alpträume!

Wieso haben Sie dabei mitgemacht? 

Shellenberger: Zum Schluß, weil ich einfach Angst hatte, Freunde und Finanzförderung zu verlieren, wenn ich die Desinformationskampagnen der Klimaschützer öffentlich kritisiert hätte. Denn die wenigen Male, als ich diesen Mut aufbrachte, erfuhr ich drastische Konsequenzen. Lange jedoch glaubte ich auch an all das, schließlich habe ich mich, seit meinem 16. Lebensjahr, für den Regenwald eingesetzt. So bin ich immer mehr unter den Einfluß dieser Ideologie geraten. 

Wie funktioniert die? 

Shellenberger: Hinter der apokalyptischen Umweltbewegung stecken drei Kräfte: Geld, Macht und eben Ideologie – und bei dieser handelt es sich um eine säkulare Religion. 

Moment, die Umweltbewegung fordert doch „Follow the Science!“, also der Wissenschaft zu folgen. 

Shellenberger: Sie tut aber genau das Gegenteil! Und sie leugnet nicht einmal nur wissenschaftliche Ergebnisse – sondern sogar physikalische Prozesse. Nein, es ist eine Bewegung, die auf Glauben und Dogmen fußt, aber behauptet, nur sie beruhe auf Realismus, während ihre Kritiker wahlweise Spinner, Lügner oder Verschwörungstheoretiker seien. Allerdings, am allermeisten täuscht diese Ideologie nicht die Welt – sondern ihre eigenen Anhänger.

Wie gelingt ihr das?

Shellenberger: Friedrich Nietzsche sagte, je weniger die Leute an traditionelle Religion glauben, desto mehr schaffen sie sich neue. Der Mensch hat ein tiefes Bedürfnis nach Transzendenz, ja Unsterblichkeit. Viele ersehnen, daß etwas von ihnen weiterlebt, hoffen, daß dieses sehr kurze Leben nicht alles ist. Deshalb konstruieren wir Menschen Unsterblichkeitsprojekte. Traditionell war das die jüdisch-christliche Religion. Doch die schwindet. Und so seltsam es klingen mag, aber ökologische Nachhaltigkeit etwa ist nur eine moderne Form von Unsterblichkeitsversprechen: So werde ich Teil von etwas Großem, das mich überdauert, wodurch ich auf gewisse Weise fortlebe – somit ist mein kleines Leben weder völlig vergeblich noch vollständig vergänglich. Und diese Hoffnung ist auch die Quelle von Haß und Angst. Denn wir hassen, was uns angst macht – und Angst ist letztlich immer die Angst vor dem Tod. Deshalb wird das, was unsere Unsterblichkeitsprojekte angeblich am meisten bedroht, am meisten gefürchtet und deshalb so ungehemmt irrational gehaßt, etwa Plastik oder atomarer Abfall. Und gleichzeitig ist da die Manie, geradezu panisch die Bedrohung ein für allemal ausschalten zu wollen, indem wir unsere Gesellschaft und ihre Grundlage, die Ökonomie, umbauen. Die Deutschen etwa sind dabei, sogar ihre gesamte Landschaft umzugestalten!  

In „Apokalypse, niemals!“ schildern Sie etliche Irrtümer, Lügen und Strategien der Bewegung. 

Shellenberger: Ja, ich verstehe das Buch als eine psychologische Intervention – vielleicht sogar als eine kognitive Verhaltenstherapie.

Was ist das?

Shellenberger: Nietzsche sagt, um anders zu denken, muß man anders fühlen. Und ebenso basiert in der Psychologie die kognitive Verhaltenstherapie auf der Erkenntnis, daß Gefühle das Denken beeinflussen, etwa daß dauerhaft negative Denkmuster zu Depression führen. Kognitive Verhaltenstherapie zielt darauf ab, diese Abwärtsspirale zu durchbrechen. Als ich in meinem Leben am apokalyptischsten gestimmt war, war ich auch am depressivsten. Eine depressive Person hat drei Grundüberzeugungen: Ich bin schlecht. Die Welt ist schlecht. Das Ende ist nah – also der Tod ist nah. Menschen, die vom Thema Tod besessen sind, sind oft depressiv. Und die Struktur von Depressionen ist auch die Struktur der apokalyptischen Umweltbewegung, die vom Ende, also vom Tod, besessen ist. 

Wie kann man sie stoppen? 

Shellenberger: Wie gesagt: kognitive Verhaltenstherapie.Früher hieß das übrigens Stoizismus, also einen realistischen Blick darauf zu entwickeln, was man kontrollieren kann und was nicht. Kontrollieren kann man etwa sein Verhalten, zum Beispiel möglichst ausgeglichen und gesund zu leben. Keine Kontrolle hat man dagegen darüber, was etwa Putin tut oder wie China Energie erzeugt. Dabei sage ich nicht, daß dies keine Probleme wären. Aber die Fokussierung auf solche Probleme hat zu einer neuen apokalyptischen Religion geführt, die nicht aufklärt und die Probleme löst, sondern Panik und Endzeitstimmung schürt und damit Menschen unglücklich und fanatisch macht, Zweifler verfolgt und die Probleme, die sie vorgibt zu bekämpfen, nur noch größer macht. Ich selbst war Teil davon und habe das alles durchlebt, und deshalb schreibe ich heute mit meinen Büchern gegen all das an – sowie dafür, mit sich und der Welt im Einklang zu leben. 






Michael Shellenberger, der Journalist, Buchautor und ehemalige Ökoaktivist versteht sich heute als unideologischer Grüner. Er schrieb mehrere Bücher. In den USA erschien Ende 2021 sein jüngster Band: „San Fransicko. Why Progressives Ruin Cities“ (San „Krankzisko“. Warum Linke die Städte ruinieren) und in diesem März mit „Apocalypse, Never“ (2020) sein erster Titel in deutscher Übersetzung: „Apokalypse, niemals! Warum uns der Klima-Alarmismus krank macht“. Geboren wurde Shellenberger 1971 in Colorado, heute lebt er in Kalifornien.

 www.environmentalprogress.org

Foto: Aktivisten blockieren eine Straße: „Die Wahrheit ist, daß wir Umweltschützer die Öffentlichkeit getäuscht ... ich Klima-Panik betrieben habe. Es ist eine säkulare Religion. Ich war ein Gläubiger“