© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Testen die Besten?
Kriminalität: Mit fingierten Corona-Tests sollen betrügerische Anbieter in der Pandemie zweistellige Millionenbeträge vom Staat ergaunert haben / Besonders viele Fälle in Berlin
Ronald Berthold

Die zwangsweisen Testungen der Deutschen auf das Coronavirus kosten viel Geld. Bisher hat der Bund 3,3 Milliarden Euro an Betreiber von Schnelltestzentren ausgezahlt. Ausschließlich symptomfreie Menschen auf eine Erkrankung zu untersuchen, ist ein florierendes Geschäft, mit dem der Staat auch zahlreiche Betrüger angelockt hat. Der Schaden beträgt inzwischen mehrere hundert Millionen Euro und ist zum Teil auf türkischen Bankkonten verschwunden.

Besonders bis Juli 2021 boten sich paradiesische Zustände. Der Staat ließ bis dahin keine einzige Abrechnung überprüfen. Der totale Kontrollverlust war eine Win-win-Situation: Die Bundesregierung präsentierte zufrieden extrem hohe Zahlen. Und die Betreiber konnten so viele Tests melden, wie sie wollten. Folge: Immer mehr Kriminelle verfielen in Goldgräberstimmung und öffneten tatsächliche und zum Teil nur auf dem Papier stehende Schnelltestzentren, in denen die Zahl der Untersuchungen auf „absurde“, wie Ermittler heute einräumen, Spitzen getrieben wurde. Die meisten Betrugsfälle im ersten Corona-Jahr dürften daher unentdeckt bleiben.

Medizinische Fachkräfte sind für den Betrieb eines Testzentrums nicht nötig. Praktisch jeder kann von dem Geldregen profitieren, der einen Raum zur Verfügung hat, und manchmal – in besonders dreisten Fällen – braucht es nicht einmal den. Es genügt eine Anmeldung, die Angabe von angeblich durchgeführten Tests, und schon rollt der Euro. In Schnelltestzentren dürfen nur Menschen ohne jedes Symptom getestet werden. Schon wer unter leichten Kopfschmerzen leidet, darf nicht kommen. Die Kriminellen profitieren von einer Maßnahme, die Gesunde zu potentiellen Kranken erklärt.

Wer nach dem Juli 2021 weiter betrog, für den erhöhte sich das Risiko, wenn auch nur leicht. Stichprobenartig sollten die für die Kontrolle zuständigen Kassenärztlichen Vereinigungen lediglich ein Prozent der Abrechnungen auf Plausibilität prüfen. Bei Millionen Tests pro Tag bedeutet das immer noch einen enormen Aufwand, der kaum zu bewältigen ist.

Ausnahmslos alle Tests waren in der Omikron-Welle negativ

Dennoch kommen nun immer mehr Fälle, in denen zu viele Tests abgerechnet oder Testzentren schlicht gar nicht existierten, ans Tageslicht. Inzwischen laufen bei den Staatsanwaltschaften mindestens rund 650 Verfahren. Die Zahl liegt tatsächlich jedoch deutlich höher: Mehrere Bundesländer erfassen die Delikte statistisch nicht gesondert. Hinzu kommt die hohe Dunkelziffer nicht entdeckter Delikte.

Welches finanzielle Ausmaß dieser Betrug angenommen hat, zeigt ein Blick auf lediglich fünf Verfahren in Bochum, Offenburg, Freiburg und Mannheim. Allein hier beträgt der insgesamt zur Anklage gebrachte Schaden laut Handelsblatt knapp 50 Millionen Euro. Es geht also pro Fall um durchschnittlich zehn Millionen Euro.

Offiziell werden die Zahlen heruntergespielt. Der Berliner Senat gab die ergaunerte Summe kürzlich mit 24 Millionen Euro an. Aber: Berlin ist das Zentrum des Test-Betrugs: Mehr als die Hälfte aller bisher statistisch erfaßten Fälle in Deutschland stammt aus der Hauptstadt. Allein eine Gruppe um einen 46jährigen Türken und dessen Schwester soll neun Millionen Euro für erfundene Tests erhalten haben. Große Teile des Geldes sind weg – sechs Millionen verschwanden auf einem türkischen Bankkonto. So relativiert Jochen Sindberg, Leiter des Berliner Polizei-Dezernats Betrug im Gesundheitswesen, die Senatsangabe: „Schadenssummen werden in der Regel sehr zurückhaltend geschätzt, davon sollte man auch hier ausgehen.“

Schon kurz nach Beginn der Massentests hingen an zahlreichen arabischen Shisha-Bars und Döner-Läden – nicht nur in Berlin – Transparente mit der Aufschrift „Corona-Testzentrum“. 11,50 Euro pro abgerechneten Test zahlt der Staat. Wie viele auch tatsächlich durchgeführt wurden, weiß niemand. Das System lädt zum Betrug ein. Da erscheint die nun geäußerte Empörung der Politik recht naiv. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) zum Beispiel findet es anstößig, daß sich die Täter ausgerechnet einen Bereich ausgesucht haben, „in dem es um die Gesundheit von Menschen geht“. Für ihn sei es „ein Skandal, wenn hier betrogen wird“. Indes: Es ist ein Skandal mit Ansage, den die Politik zu verantworten hat. 

Die für jeden sichtbare Inflation der Testzentren gehörte zu den demonstrativen Elementen der Corona-Maßnahmen. Ein anderes Beispiel: Die im Juli 2020 gegründete und unter anderem von Can Abdurrahim A. geführte „AP Haus und Grund Verwaltungsgesellschaft mbH“ in Köln rechnete Anfang des Jahres innerhalb von vier Wochen mehr als 30.000 Tests ab. Auffällig: Ausnahmslos alle waren auf dem Höhepunkt der Omikron-Welle negativ, wie Recherchen des WDR ergaben. Da die offizielle Rate falsch-positiv Getesteter bei 0,3 Prozent liegt, hätte allein das schon knapp 100 Fälle ausmachen müssen. Erst jetzt erkennen die Verantwortlichen, daß extrem wenige Positiv-Tests verdächtig sein könnten. „Unsere Aufmerksamkeit war bisher nicht darauf gerichtet, Betrug zu entdecken“, sagt der Kölner Gesundheitsdezernent Harald Rau. Auch Berlin wird hellhörig. 233 solcher Verdachtsfälle habe man erkannt.

Daß „halbseidene Betreiber bis hinein ins kriminelle Milieu“ Schnelltestzentren öffneten, fiel auch im baden-württembergischen Gesundheitsministerium früh auf, wie man dort heute einräumt. Nur: Man tat nichts. Die wie Pilze aus dem Boden schießenden Testzentren konnten schalten und walten, wie sie wollten. Der Staat warnte seine Bürger nicht einmal davor, sich in Imbißbuden oder „Spätis“ testen zu lassen. Zu gern präsentierte sich Deutschland als „Test-Weltmeister“ der Öffentlichkeit.