© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Unter Hochdruck
Fracking: Um die Abhängigkeit von russischem Gas zu vermindern, wird das Erschließen einheimischer Gasvorkommen wieder attraktiver. Die Technik für die Förderung aus unkonventionellen Lagerstätten ist längst vorhanden und erprobt. Und umweltfreundlich geht es auch
Marc Schmidt

Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat ein Talent dafür, populäre Forderungen aufzugreifen, selbst wenn sie seinen früheren Positionen widersprechen. Ein Beispiel ist seine Forderung, fünf deutsche Kernkraftwerke mindestens fünf Jahre weiterzubetreiben, was auch eine Wiederinbetriebnahme einzelner Meiler bedeuten würde. Die am schärfsten kritisierte Forderung ist allerdings inzwischen, Fracking in Deutschland ergebnisoffen zu prüfen. Während die Kraftwerksfrage darauf abzielt, relativ kurzfristig auf die europäischen Forderungen nach einem kompletten Energieembargo gegen Rußland zu reagieren, soll Fracking in Deutschland mittelfristig Gas und geringe Mengen Erdöl fördern und so den Importbedarf verringern.

Geologisch in Frage kommen für Fracking alle Gebiete mit Schiefergesteinslagen, in denen Schiefergas eingeschlossen ist. Sinnvoll nutzbare Vorkommen werden allerdings nur mit Einschränkungen im Molassebecken, dem Oberrheingraben und dem Nordwestdeutschen Becken erwartet. Aus technischen Gründen lag der Fokus des Frackings früher vor allem in Niedersachsen, weshalb hier auch der Widerstand in der Bevölkerung am ausgeprägtesten ist. Keines der analysierten Gebiete hat ähnliche Gasgewinnungspotentiale wie amerikanische Schiefergesteinsformationen, weder bezüglich der Ausdehnung noch bezüglich der eingeschlossenen Gasmenge oder der technologiebedingten Förderkosten.

In Deutschland werden, je nach Rechenmodell und Annahmen zum Förderungspotential aus verschiedenen Schichten mit unterschiedlichen Fracking-Ansätzen, Schiefergasreserven von 6,8 Billionen bis 22,6 Billionen Kubikmeter vermutet. Technisch förderbar, insbesondere durch Fracking, sind hiervon allerdings nur etwa zehn Prozent, in allen anderen Fällen ist der technische Aufwand oder das Risiko schwerer Umweltschäden zu hoch. Der Jahresverbrauch an Erdgas in Deutschland betrug 2020 87 Milliarden Kubikmeter. Eine unterstellte förderbare Gesamtmenge von 0,7 bis 2,3 Billionen Kubikmetern (Umweltbundesamt-Gutachten „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten“, 2012) würde den deutschen Gasbedarf, ungeachtet der Entwicklung des Preisniveaus, zwischen acht und 25 Jahre abdecken können.

Allerdings verbot die Große Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ab 2016 das Fracking zur kommerziellen Gasgewinnung fast vollständig. Die damals verantwortlichen Ressorts für Wirtschaft und Umwelt waren SPD-geführt. Ausnahmen gelten lediglich für in größeren Hohlräumen, den Kavernen, eingeschlossene Vorkommen in tiefen Sandsteinschichten. Für diese Verfahren gelten allerdings umfangreiche Genehmigungs- und Kontrollprozesse, vor allem bezüglich der Sicherheit des Grundwassers. Zu anderen Zwecken werden die Fracking-Verfahren allerdings auch nach der Bestätigung der Regelungen durch den Bundestag im Jahr 2021 eingesetzt, so zum Beispiel bei der Grundwassergewinnung oder zur Verbesserung des Wasserflusses der Tiefengeothermie, meist um deren Wärme oberirdisch zu nutzen.

Im Harzvorland wurde Fracking zur Gasgewinnung schon eingesetzt

Seit Gründung der Bundesrepublik wurden verschiedene Formen des Frackings bereits mehr als dreihundertmal eingesetzt, zur Gasförderung zwischen 1960 und 2011 vor allem im Harz und dessen niedersächsischem Vorland. In Amerika wird Fracking mehr als vierzigtausendmal pro Jahr verwendet, wobei sich die Zählweise dort auf die bis zu sechzehnmal genutzten einzelnen Bohrungen bezieht. International wird die Zahl der Fracking-Einsätze auf mindestens vier Millionen geschätzt.

Der aus dem Englischen übernommene Begriff „Fracking“ als umgangssprachliche Abkürzung steht für „hydraulic fracturing“. Die Übersetzung „flüssigkeitsdruckbasierte Zertrümmerung“ faßt die beiden zentralen Formen des Vorgehens, das klassische Fracking und das Clean Fracking, inhaltlich gut zusammen. Bei beiden Vorgehensweisen wird Wasser mit verschiedenen Additiven unter hohem Druck in ein Bohrloch gepumpt, um Gas und Öl einschließende Gesteinsschichten zu zerbrechen und das dann durch die zerbrochenen Schichten austretende Öl oder Gas zu fördern.

Beim Fracking wird das Gebiet zunächst mit zahlreichen einzelnen, senkrechten Bohrungen erschlossen. Abhängig von der Gesteinsformation des Gebiets werden an die bis zu fünf Kilometer tiefen vertikalen Bohrungen möglichst horizontale Bohrschächte angeschlossen. Mit der Zahl der horizontalen Bohrungen sinkt der Bedarf an vertikalen Hauptschächten und Gewinnungsanlagen an den Schächten, die unter optimalen Bedingungen im gleichen Gasgebiet mehrere Kilometer auseinander liegen können.

Alle Bohrschächte werden während der Bohrung zur Stabilisierung durch physikalische und chemische Maßnahmen ähnlich einer Röhre ausgeformt. Diese Außenhaut wird an Stellen, an denen die Fracking-Flüssigkeit austreten soll, gezielt durch kleine Sprengungen beschädigt, die zugleich die ersten Risse im zu brechenden Gestein auslösen. In den vorsätzlich beschädigten Bohrschacht wird die Fracking-Flüssigkeit mit bis zu 1.000 bar gepreßt, damit diese insbesondere an den beschädigten Stellen aus dem Bohrschacht austritt und in die Risse in der Gesteinsformation eindringt. Die Gesteinsschichten werden durch den Druck und die Flüssigkeit zertrümmert, Teile des Gesteins werden durch die Chemikalien gelöst oder brechbar gemacht.

In China vermutet man riesige Schiefergasreserven

Stützmittel wie Quarzsand oder Keramikkugeln verhindern, daß sich die Risse und die kleinen Verbindungen zwischen den Poren, in denen das Gas eingeschlossen ist, wieder schließen. Die Stützmittel und Flüssigkeitsreste verbleiben in der Erde, wenn nach ca. zwei Stunden Flüssigkeitseinsatz der Druck gesenkt wird. Dies hat zur Folge, daß die Fracking-Flüssigkeit zurück aus dem Bohrloch gedrückt und später herausgepumpt wird. Insgesamt gelangen, je nach Technik, 20 bis 50 Prozent der Flüssigkeit wieder an die Oberfläche. Dieser sogenannte Backflow wird in Deutschland mehrstufig chemisch und thermisch behandelt, bevor er wieder zum Fracking verwendet oder in ehemaligen Gaslagerstätten endgelagert wird. Nach dem Backflow der im Einzelfall mehrfach wiederholten Flüssigkeitseinbringung strömt das Gas durch die Risse und Bohrschächte an die Oberfläche zu den Gewinnungsanlagen, die neben der reinen Sammlung des Ausstroms auch Gesteins- und Flüssigkeitsreste entfernen.

Der wesentliche Unterschied zwischen dem klassischen Hydraulic Fracturing und dem Ansatz, das Verfahren in Form des Clean Fracturing umweltfreundlicher zu gestalten, besteht in der Zusammensetzung der Fracking-Flüssigkeit. Beim Hydraulic Fracking variiert die Mengenzusammensetzung mit der brechenden Gesteinsformation, typischerweise sind jedoch mit Natriumsulfat, Salzsäure, Lösungsmitteln auf Propanolbasis, Aldehyden, Bioziden, Boraten und Ammoniumchlorid Stoffe enthalten, die für Menschen und Umwelt gesundheitsschädlich sind. Der Anteil der verwendeten Zusatzstoffe an der Fracking-Flüssigkeit beträgt ca. drei Prozent, beim Rest handelt es sich um Wasser. Clean Fracking verzichtet hingegen auf chemische Zusatzstoffe und verwendet neben Wasser nur Bauxit, Keramik und Quarzsand, was Effizienzverluste zur Folge hat und genauere Bohrungen erfordert.

International wird Fracking vor allem von den traditionellen Öl- und Gasförderländern eingesetzt – nicht jedoch im Mittleren Osten, denn dort sind die geologischen Voraussetzungen anders. Während die USA und Kanada bereits einen großen Teil ihres Gasbedarfs mittels dieser Technik gewinnen, wird sie beispielsweise in Kolumbien und Rußland erst in den letzten Jahren, vor allem in mittels klassischer Technik erschöpften Feldern verstärkt eingesetzt. Als größter Zukunftsmarkt des Frackings gilt China, wo das Verfahren seit 2011 zum Einsatz kommt und auf dessen Gebiet Schiefergasreserven im Volumen von 150 Prozent des ursprünglichen amerikanischen Bestands vermutet werden.

Gesundheitliche Schäden oder eine nachhaltige Beeinträchtigung des Grundwassers sind in Deutschland als Folge des Frackings nicht bekannt geworden. In den USA jedoch, wo unter anderem das zurückfließende chemikalienlastige Wasser in Becken gelagert wird, sind hingegen zahlreiche Fälle von Umweltschäden bekannt geworden, die die gesellschaftliche Debatte zum Fracking in Deutschland mit beeinflußt haben. Zudem gibt es, insbesondere in den betroffenen Gegenden in Niedersachsen, die Vermutung, daß leichtere Erdbeben und Erdrutsche auf die wenigen regionalen Fracking-Einsätze zurückzuführen sind. Angesichts der erzeugten Risse in Gesteinsformationen sind tektonische Folgen in den Gebieten wahrscheinlich. Strittig sind vor allem die jeweilige Korrelation und die Verantwortung beim Zeitverzug zu den Maßnahmen, da die Risse wie große Teile der Fracking-Flüssigkeit im Boden verbleiben.

Wie bei der Kernenergie hat sich Deutschland beim Fracking international juristisch und technisch isoliert. Ob angesichts der weltweiten, bereits in Teilen genutzten Vorkommen eine Wiederaufnahme der Technik in Deutschland sinnvoll erscheint, ist eine Frage der Schwerpunktsetzung. Wie bei Kohle wird auch in Zukunft ein Import von Erdgas, selbst als Flüssigerdgas (LNG), tendenziell billiger sein als die Aufnahme der heimischen Förderung mit mehreren Jahren Vorlaufkosten. Gleichwohl ist Fracking eine der wenigen Möglichkeiten für Deutschland, zumindest für eine Generation von einer zentralen Art des Rohstoffimports unabhängig zu werden.

Foto: Bohrung eines Tiefbohrlochs in einem Gasfeld jenseits des Polarkreises: Wie bei der Kernenergie hat sich Deutschland auch beim Fracking international isoliert