© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Den Menschenschmuggel verhindern
Großbritannien: Die Regierung verschärft den Kurs gegen illegale Immigranten / Partygate verfolgt Premier Boris Johnson
Julian Schneider

Mehr als tausend kleine Boote mit Migranten sind im vergangenen Jahr über den Ärmelkanal von Frankreich nach England geschippert. Fast 29.000 Personen brachten die Schleuser auf diesem illegalen Weg ins Königreich. Zuletzt hat der Zustrom über die Meerenge zwischen Calais und Dover nochmals stark zugenommen. „Die Projektionen für diesen Sommer sind unglaublich“, erklärte Innenministerin Priti Patel. Ihr Ministerium rechnet damit, daß dieses Jahr bis zu 65.000 Migranten die gefährliche Fahrt in den seeuntüchtigen Booten unternehmen könnten. Vor fünf Monaten sank ein Schlauchboot bei Calais, 27 Migranten ertranken.

Mit einem radikalen Plan will Patel nun den illegalen Menschenschmugglern das Geschäft erschweren und illegale Migranten abschrecken. Künftig sollen alleinreisende männliche illegale Migranten nach Ruanda geflogen werden, wo sie Asylantrag stellen können. Patel hatte Mitte April ein entsprechendes Abkommen mit der Regierung des zentralafrikanischen Staates unterzeichnet. In Kigali sind schon Hostels mit Blick auf Palmen angemietet. 

Labour will harten Migrantenkurs noch verhindern

Die Hoffnung der britischen Regierung ist es, daß Londons Ruanda-Abkommen sich unter den überwiegend aus Afrika und dem Mittleren Osten stammenden Migranten, die bislang über den Ärmelkanal drängen, herumspricht und sie davon absehen, die lebensgefährliche Fahrt zu wagen.

Regierungschef Boris Johnson geht davon aus, daß pro Jahr bis zu 5.000 Migranten nach Kigali ausgeflogen werden könnten; ein Minister des afrikanischen Landes prognostizierte indes nur einige hundert. In jedem Fall versucht London nun damit, neben Dänemark eines der schärfsten Abschreckungsregime gegen illegale Migranten in Europa zu errichten. Für den Brexit-Premier ist es auch ein Teil seines Versprechens, nach dem EU-Austritt wieder „die Kontrolle (über die Grenzen) zurückzugewinnen“.

Natürlich erhob sich sogleich viel Empörung gegen die Ruanda-Verschickung illegaler Migranten. Linke Menschenrechtsorganisationen nannten es grausam und unfair. Sogar der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, schaltete sich ein und äußerte in seiner Osterpredigt, der Plan sei gegen göttliche Gebote, als Land selbst Verantwortung zu übernehmen. 

Labour und einige Lords wollen den Plan noch aufhalten. Andere verweisen auf die finanzielle Seite. Pro Kopf erwartet London 20.000 bis 30.000 Pfund Kosten, wenn ein illegaler Migrant nach Kigali in ein Hotel verfrachtet wird. Das sei aber „nur ein Tropfen im Ozean“, verglichen mit den Kosten von 1,5 Milliarden Pfund pro Jahr für das gegenwärtige Asylwesen, betont Patel. Unter Wählern der Konservativen ist der Ruanda-Plan beliebt, Labour-Wähler lehnen ihn ab.

Für Boris Johnson sind die Asylpläne auch eine willkommene Ablenkung von der immer noch schwelenden Partygate-Affäre. Vergangene Woche wurde gegen ihn – sowie rund drei Dutzend Downing-Street-Mitarbeiter – eine Geldbuße wegen Verstoßes gegen Lockdown-Regeln verhängt. Die Höhe ist unbekannt, aber Medien spekulieren, daß es 50 Pfund (Daily Mail) oder 100 Pfund (Times) waren. Labour-Chef Keir Starmer forderte vehement, der Premier müsse zurücktreten. Umfragen zeigen, daß etwa die Hälfte der Bevölkerung dies ebenfalls wünscht. In Umfragen liegen die Tories fast zehn Punkte hinter Labour zurück.