© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Den kennt man besser nicht
Wirecard-Skandel: Merkel wußte wahrscheinlich vom Aufenthaltsort des mutmaßlichen Wirecard-Betrügers, sagte aber nichts
Martin Krüger

Silence Is Golden“ heißt der Hit der Tremeloes. Hat sich Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) vielleicht daran erinnert, als sie, wie die Bild berichtete, Anfang 2021 informiert wurde, daß der flüchtige ehemalige Wirecard-Manager Jan Marsalek sich wahrscheinlich in Moskau aufhält? Es heißt, die bis Dezember 2021 amtierende Regierungschefin haben vom Aufenthaltsort und auch von einem Angebot des russischen Geheimdienstes FSB an deutsche BND-Mitarbeiter gewußt, ein Gespräch mit ihm zu organisieren. Die Deutschen hätten das aber angeblich aus Angst vor einer Falle beziehungsweise einer Mißinterpretation von Szenen des Treffens mit dem vermeintlichen Wirtschaftskriminellen ausgeschlagen. Weshalb Kanzlerin Merkel aber die ermittelnden Strafverfolger unwissend ließ, könnte eine neue Frage des Untersuchungsausschusses und der deutschen Öffentlichkeit an die Altkanzlerin sein. Allerdings endete der mit dem Abschlußbericht am 25. Juni. Die Kanzlerin selbst hatte ihre Aussagen am23. April gemacht. 

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß mit Lisa Paus (Grüne) jetzt eine Scholz-Kritikerin nach dem emotionalen Abgang von Anne Spiegel als Bundesfamilienministerin am Kabinettstisch Platz nimmt. Paus sparte bislang nicht gerade mit bissigen Aussagen zum Ex-Finanzminister. Kostprobe: „In Sonntagsreden gibt Scholz gerne den aufrichtigen Sozialdemokraten – hinter den Kulissen ist er der Genosse der Banker.“ Oder: „So funktioniert das System Scholz: Spuren verwischen und Nebelkerzen werfen. Statt vollständiger Transparenz werden wichtige Details verschwiegen oder nur das zugegeben, was sich öffentlich nicht mehr leugnen läßt.“

Scholz hatte die Oberaufsicht über die zuständigen Behörden

Auch auf Scholz könnten als Vizekanzler Merkels Fragen zur Blockade der Moskauer Informationen zukommen, falls ein Verfahren neu eröffnet wird. Scholz Ministerium trug die Verantwortung dafür, daß die ihm unterstellte Finanzaufsicht auch funktioniert.

Die Staatsanwaltschaft war unterdessen nicht untätig und hat gegen den Ex-Vorstandschef von Wirecard, Markus Braun, Anklage erhoben. Der Prozeß mit einer Klageschrift von rund 480 Seiten steht kurz bevor. Braun droht im Falle einer Verurteilung eine mehrjährige Haftstrafe.

Die Münchner Staatsanwaltschaft hat bereits Anklage gegen einen einst engen Vertrauten und Geschäftspartner des Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek erhoben. Beide sollen danach gemeinsam 22 Millionen Euro veruntreut haben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Geschäftspartner 26 besonders schwere Fälle der Geldwäsche verbunden mit Betrug sowie falscher Buchführung vor.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) hat in den Niederlanden eine Stiftung gegründet, über die für Wirecard-Geschädigte eine schnelle Entschädigungslösung ermöglicht werden soll. Die Stiftung namens Stichting Wirecard Investors Claim hat den Vorteil, eine europäische Vergleichslösung für alle geschädigten Wirecard-Anleger und gerade auch mit dem Wirtschaftsprüfer Ernst & Young Global (EY) zu ermöglichen. Die Rechtsform einer niederländischen Stiftung eröffne insbesondere diese Chancen, heißt es.

Auch Klein- und Kleinstanleger können sich über die Stiftung einer Schadenersatzlösung anschließen. Die DSW sieht über die große Anzahl sich anschließender Anleger eine besonders gute Möglichkeit, um eine Lösung mit EY zu erzielen. Es dürfen sich allerdings nur geschädigte Investoren anschließen, die nicht bereits an anderen Klagen beteiligt sind. Grund: In Deutschland gilt das Verbot doppelter Rechtshängigkeit. Das heißt, wie man für ein Delikt nicht zweimal verurteilt werden darf, darf eine Klage wegen derselben Sache auch nur bei einem Gericht erhoben werden.

Bafin-Chefin Freiwald weigert sich, ihren Stuhl zu räumen 30.000 Geschädigte mit einer Schadenssumme von insgesamt rund 1,5 Milliarden Euro haben sich seit dem Insolvenzantrag von Wirecard im Juni 2020 bei der DSW gemeldet.

Jedenfalls zeigt sich jetzt eine gewisse Hartnäckigkeit bei der im Zuge des Wirecard-Skandals ins Blickfeld geratenen Bafin-Exekutivdirektorin Béatrice Freiwald. Es heißt, sie gehe gerichtlich gegen ihren Rauswurf vor. Das Bundesfinanzministerium wolle die Beamtin von ihrem Posten bei der Behörde entfernen, zitierte das Handelsblatt namentlich nicht genannte Insider. Béatrice Freiwald sei von ihrem neuen Chef Mark Branson  intern bereits weitgehend entmachtet worden. Dagegen habe sie Rechtsmittel eingelegt, heißt es weiter. Um einen Exekutivdirektor oder eine Exekutivdirektorin der Bafin abzulösen, braucht es einen formalen Beschluß des Kabinetts. Neues Thema für ihren alten Chef, Finanzminister Olaf Scholz, der ihr jetzt sogar im Kabinett von ganz oben vorsitzt.

Branson ist gebürtiger Brite mit Schweizer Paß und war im August 2021 in die Leitung der Bafin berufen worden, um Felix Hufeld abzulösen. Hufeld war sich lange keiner Schuld bewußt und verteidigte das Nichtvorgehen seiner Behörde gegenüber der Wirecard-Clique.

Besonders in Erinnerung bleiben seine Verabschiedung vom E-Mail-Account seiner eigenen Behörde aus an Mitarbeiter, aber auch seine Kontakte in die Finanzszene: „Ich strebe danach keine operative Rolle mehr an, sondern versuche, ein kleines aber feines, Portfolio von Mandaten zu übernehmen, in denen ich meine spezifische Erfahrung aus der privaten Wirtschaft wie auch dem öffentlichen Amt einbringen kann.“ Für den künftigen Kontakt fügte er noch seine private E-Mail-Adresse und seine Mobilnummer an. Klingt eher nach „The Show Must Go On“ von Queen.

Foto: Fahndungsplakat bildet Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek ab: Kanzlerin Merkel hatte wahrscheinlich nichts von der Suche bemerkt