© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Der Osten wird dürsten
Energie-Kartell: Opec trägt Sanktionspolitik gegen Rußland nicht mit
Paul Leonhard

Die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) zieht nicht mit. Der Ukraine-Krieg und die EU-Sanktionen gegen russische Erdöllieferungen interessieren das Energie-Kartell herzlich wenig. Man werde die dadurch entstehende Versorgungslücke von möglicherweise mehr als sieben Millionen Barrel Öl pro Tag (fast ein Zehntel des weltweiten Verbrauchs) und anderen Flüssigenergieexporten nicht ersetzen, erklärte Generalsekretär Mohammed Barkindo bei einem Treffen mit EU-Vertretern. Die gegenwärtige Volatilität am Markt sei die Folge von Faktoren, die die Opec nicht kontrolliere. Das bedeutet letztlich: Die Erdölförderung wird nicht erhöht, obwohl die USA und die Internationale Energieagentur (IEA) das gefordert hatten.

Darauf aber hatten die Europäer gesetzt, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Knie zu zwingen. Jetzt hält sich das Kartell der 13 Staaten aus Politik und Krieg heraus, und das Embargo trifft die eigene Industrie und Bevölkerung. Interessanterweise heben zwar Saudi-Arabien, Kuweit und die Vereinigten Arabischen Emirate ihre Fördermengen an, nicht aber afrikanische Länder wie Nigeria, Kongo, Angola und Libyen, die die Förderung drosseln und die gerade von Rußland umgarnt werden. Dafür steigt in diesem Jahr das weltweite Flüssiggasangebot durch die USA, Rußland, Brasilien, Kanada, Kasachstan, Guyana und Norwegen.

Den französischen Mineralölkonzern Total ficht das nicht an. Er hat sich bereits festgelegt: Ab kommendem Jahr wird kein russisches Öl mehr durch die Leitungen seiner Raffinerie in Leuna bei Leipzig, dem Hauptbelieferer der Tankstellen in den östlichen Bundesländern, fließen. Damit folgt er zwar den Vorgaben von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), der bis Mitte des Jahres die russischen Ölimporte nach Deutschland halbieren will und bis zum Jahresende von ihnen „nahezu unabhängig“ zu sein hofft. Aber für den Osten einschließlich Berlins wird der Kraftstoff noch teurer. Denn Total wird seine Raffinerien umrüsten müssen. Diese seien spezifisch auf Öl aus bestimmten Feldern in Sibirien kalibriert, sagt Hendrik Mahlkow vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Sie umzustellen wäre auf jeden Fall mit Investitionen verbunden. Offen ist auch, wie Leuna dann mit Rohöl beliefert werden soll. „So viele Öltanker wird es nicht geben, um das in ausreichender Menge zu liefern“, analysiert Joachim Ragnitz, Vizechef des Ifo-Instituts Dresden. „Und eine neue Pipeline kann man nicht von heute auf morgen bauen.“ Bisher wurden in Leuna, aber auch in Schwedt an der polnischen Grenze Benzin, Diesel und Heizöl aus jenen bis zu 24 Millionen Tonnen Rohöl jährlich hergestellt, die seit 60 Jahren ununterbrochen aus der 5.300 Kilometer langen Druschba-Pipeline an der Oder ankamen. Das waren immerhin zwei Drittel des deutschen Imports aus Rußland.

Während die Franzosen in Leuna mit der  „Freundschaftsleitung“ nichts mehr zu tun haben wollen, ist die Lage beim PCK Schwedt heikler. Denn das Unternehmen wurde 2021 zu mehr als 90 Prozent vom russischen Staatskonzern Rosneft übernommen. Besonders heikel: Berlin und das Land Brandenburg beziehen 95 Prozent ihres Benzins, Heizöls und Kerosins aus in Schwedt verarbeitetem russischen Rohöl.

Obwohl das Bundeskartellamt dem Erwerb der Shell-Anteile durch Rosneft erst kurz vor dem russischen Einmarsch in der Ukraine seinen Segen erteile, wird diese Zusage derzeit vom Bundeswirtschaftsministerium erneut überprüft. Nach Angaben des Handelsblatts gehe es um die Möglichkeiten der Verstaatlichung oder sogar Enteignung der deutschen Töchter der Energieriesen Gazprom Germania und Rosneft Deutschland.

Bei älteren Westdeutschen drängen sich inzwischen Erinnerungen an die Ölkrise 1973 auf. Auslöser war der Yom-Kippur-Krieg zwischen mehreren arabischen Staaten und Israel. Die massive Drosselung der Fördermenge durch die Opec, die zu einem gravierenden Preisanstieg des Rohöls führte, der umgehend an die Verbraucher weitergegeben wurde, sollte so lange bestehen bleiben, bis die von Israel besetzten Gebiete befreit und die „Rechte des palästinensischen Volkes“ wiederhergestellt wären. Die USA und die Niederlande, die als Freunde Israels galten, erhielten von den Opec-Mitgliedern überhaupt kein Öl mehr.