© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Nach der Idylle
Ausstellung: Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt am Main widmet sich dem Genre des Katastrophenfilms
Claus-M. Wolfschlag

Manchem sich bislang in satter Sicherheit wähnenden Bundesbürger scheint es langsam mulmig zu werden. Die Einschläge kommen näher und lassen das einstige Wohlstands-Eldorado immer stärker zur Krisenrepublik werden: demographische Überalterung, Massenzuwanderung, Fachkräftemangel, Bildungsmisere, Corona-Pandemie, Inflation auf Rekordniveau, Energiewende mit steigenden Kosten – und jetzt seit zwei Monaten auch noch Krieg in Europa.

So ist es in einer solchen Krisenzeit passend gewählt, daß sich das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt dem Thema „Katastrophe“ angenommen hat. Die kleine Sonderausstellung widmet sich dem Genre des Katastrophenfilms. Als dessen erstes Erzeugnis gilt heute „San Francisco“ mit Clark Ga-ble aus dem Jahr 1936. Der Streifen beginnt als Liebesfilm und endet in den Trümmern San Franciscos nach dem großen Erdbeben von 1906. Doch bereits zuvor hatten sich zahlreiche Bilder der Laterna magica jenen Themen gewidmet, die dann später filmisch umgesetzt wurden.

Presse nutzt Katastrophen

zu Auflagensteigerungen

Seit einer ersten Hochphase in den fünfziger Jahren sind unzählige Katastrophenfilme erschienen, die sich unterschiedlichsten Bedrohungsszenarien der menschlichen Zivilisation widmen. Das können beispielsweise Vulkanausbrüche („Dantes Peak“), Großbrände („Flammendes Inferno“), Überflutungen („Die letzte Flut“), einbrechende Eiszeiten („Eis – Wenn die Welt erfriert“), Verstrahlung durch Atombombeneinschläge („On the Beach“/„Das letzte Ufer“) oder Virusepidemien sein. Die Zeit nach einer Katastrophe leitet in das Genre „Endzeitfilm“ hinüber.

Die Frankfuter Schau beginnt in der Vorhalle mit einigen Plakaten, die glückliche Momente zeigen sollen. Es ist die Idylle, die als Kontrast zur folgenden Handlung meist am Anfang eines Katastrophenfilms präsentiert wird. Betritt man den Ausstellungsraum, so wird man mit Bezügen zur menschlichen Alltagsgeschichte konfrontiert: eine Millionen Jahre alte Basaltsäule als Folge eines Vulkanausbruchs; ein Bibeldruck mit der Abbildung der Apokalypse ; ein Blitzableiter aus dem Jahr 1752 als Symbol der Abkehr des technischen Denkens von der religiösen Vorstellung einer Strafe des Himmels; eine Zündmaschine für Sprengungen als Zeichen menschlicher Selbstüberschätzung.

Zahlreiche Filme werden in der Schau kurz vorgestellt. Darunter Lars von Triers „Melancholia“, in dem ein Planet mit der Erde kollidiert, und Roland Emmerichs „The Day After Tomorrow“, der ein Weltuntergangs-Szenario aus Stürmen, Überflutungen und einer neuen Eiszeit als Folge klimatischer Veränderungen auf die Leinwand wirft.

Interessant ist, wie stark parallel dazu die Presse Katastrophenthemen zur Auflagensteigerung benutzt. Das Cover des Time Magazins mit Greta Thunberg als „Person of the year“ dient da nur als erster Wink. Eine Fülle von Titelseiten des Spiegel zeigt, daß das Spiel mit der Katastrophen-Angst zum Geschäftsmodell des Hamburger Magazins gehört. Wenn es mal nicht angebliche Wiedergänger des NS-Regimes sein konnten, die die Leser locken sollten, hatte das Blatt nie Probleme damit, andere Themen für den Katastrophenliebhaber zu finden. Sei es „Sars“, „Der Untergang von New Orleans“, „Vor uns die Sintflut“ oder „Abschied von der Tierwelt“ – die Palette der Cover ist beeindruckend.

Bei der Beschäftigung mit diesem Filmgenre stellt sich die Frage, was zuerst vorhanden war? Der Film oder die Katastrophe? Sind Katastrophenfilme nur die Beschäftigung mit einem real drohenden Szenario? Oder sind sie eine Inspirationsquelle nicht nur für Journalisten, sondern auch NGOs und Politiker? Inwieweit haben möglicherweise Filme über Virusepidemien das gesellschaftliche Szenario um die Corona-Pandemie nur vorweggenommen? Man denke an Streifen wie „Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All“ (1971), „Outbreak – Lautlose Killer“ (1995), „Twelve Monkeys“ (1995), „Carriers“ (2009) oder – erschreckend voraussehend – „Contagion“ von Steven Soderbergh (2011).

Vielleicht war es der Mangel an Katastrophen, der als Gegenbewegung den Katastrophenfilm groß gemacht hat. Mit einer Zunahme der realen Krisen in unserer Gesellschaft könnten diese Filmproduktionen womöglich zurückgehen. Die reale Katastrophe braucht nämlich keine Filme mehr, um ihr Antlitz zu zeigen.

Die Ausstellung „Katastrophe – Was kommt nach dem Ende?“ ist bis zum 22. Mai im DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Schaumainkai 41, Frankfurt am Main, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Katalog mit 172 Seiten kostet 24,80 Euro. 

 www.dff.film