© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Die Machofrau
Eine Abrechnung mit Alice Schwarzer und dem heute unter Druck geratenen traditionellen Feminismus
Martin Voigt

Deutsche Feministin mit fünf Buchstaben? – Richtig, Alice! Alice Schwarzer ist seit den siebziger Jahren die Übermutter des deutschen Feminismus. Die Gründerin der Frauenzeitschrift Emma schreibt sich in zahllosen Pamphleten die Finger wund und hat ein Abo auf Talkshow-Auftritte, um an allen medialen Fronten für die Rechte der vom Patriarchat unterdrückten Frauen zu kämpfen.

Schwarzer, das Sprachrohr der Frauenbewegung, mit dem sich sämtliche Frauen identifizieren können? Weit gefehlt, meint der Philosoph und Soziologe Harald Wasser. Der herrischen Vorzeigefeministin sei es vielmehr gelungen, die sehr vielseitigen feministischen Strömungen zu absorbieren und „das Ruder des Feminismus an sich zu reißen“. Ihre Agenda: die „Entsolidarisierung der Geschlechter“ gezielt vorantreiben.

In seinem Buch „Gute Nacht Alice“ beschreibt Wasser anhand aufwendig zusammengetragener Belege, wie Schwarzer mittels persönlicher Diffamierungen „sämtliche konkurrierende feministische Strömungen ins mediale Aus katapultierte und mundtot machte“. Wer sich für die Persönlichkeit hinter der öffentlichen Figur Alice Schwarzer, den Umgangston in der Emma-Redaktion und die Stutenbissigkeit im feministischen Diskurs interessiert, wird in dem über 700 Seiten starken Werk auf einige erhellende Anekdoten stoßen.

Friedrich Nietzsches Aphorismus „der Feminismus ist nicht der Kampf des Weibes gegen den Mann, sondern der Kampf des mißratenen Weibes gegen das wohlgeratene“ scheint auf Schwarzer in besonderem Maße zuzutreffen. Die von Wasser zusammengetragenen Quellen, die häufig vergraulte Weggefährtinnen der Emma-Chefin zitieren, zeichnen den Charakter einer von irrationalem Haß getriebenen und mit harten Bandagen kämpfenden Machofrau mit ausgeprägtem Machtinstinkt.

Dank jahrzehntelanger Propaganda die Opferrolle für sich gepachtet

Schwarzers kommunikative Strategie sei ein feministisches Leben lang eine Stimmungsmache gewesen, die auf der „moralischen Herabsetzung und Diffamierung des Andersdenkenden“ beruhe, so Wasser. Beispielgebend seien Schwarzers Platitüden gegen die wortgewandte und intellektuell überlegene Konkurrentin Esther Vilar im Jahr 1975. Schwarzer habe vor laufender Kamera ihrer Wut freien Lauf gelassen und die jüdische Migrantin Vilar mit „Beleidigungsattacken“ überzogen und als Faschistin verhöhnt. Weder der Moderator noch die Regie seien eingeschritten. Schwarzer habe erfolgreich ihre Grenzen ausgetestet, konstatiert Wasser: „Dieser Moment wurde zur Geburtsstunde des radikalen Feminismus“, denn Schwarzer demonstrierte öffentlich ihre Macht. „Im Namen des Feminismus ist alles erlaubt. Feminismus macht sakrosankt.“

Die Narrative des radikalen Feminismus bestünden jedoch aus Mythen und Legenden. Etwa der jedem Schulkind eingetrichterte Mythos von den Trümmerfrauen würde historische Wahrheiten verzerren und sogar exakt auf den Kopf stellen, versucht Wasser wissenschaftliche Erkenntnisse zu widerlegen. Die meisten der allseits bekannten Bilder der Trümmerfrauen seien „rein manipulativ für die Kameras der Massenmedien inszeniert“ worden. Es handle sich um „die wahrscheinlich größte Geschichtsklitterung, die je in einer westlichen Demokratie Fuß fassen“ konnte, so der Philosoph.

Wasser arbeitet sich indes nicht nur an Schwarzers „radikalem Feminismus“ ab, der vielen Frauen bitter aufstößt, wie etwa ihr Kampf für ein Recht auf Abtreibung. Sondern der Autor möchte „vor allem dazu beitragen, daß all jenen von Alice Schwarzer ins mediale Aus gedrängten emanzipativen Feministinnen endlich wieder eine öffentlich vernehmbare Stimme gegeben wird.“ Im feministischen Diskurs dürften schließlich nicht nur hörige Schwarzer-Jüngerinnen, sondern auch „Abweichler:innen und Andersdenkende und natürlich auch Männer Gehör finden“, schreibt Wasser in gegenderter Sprache.

„Dies ist kein Männerbuch“, heißt es im Klappentext, doch nichts befeure die Spaltung der Geschlechter so sehr wie die Situation von Männern in unserer feministisch geprägten Gesellschaft. Im vermeintlichen Patriarchat bestehe die Freiheit für Familienväter darin, ein paarmal im Leben den Vollzeitjob zu wechseln, während Frauen immer noch dank jahrzehntelanger Propaganda die Opferrolle für sich gepachtet hätten. Wasser gibt dem Mit- und Gegeneinander im Alltag der Geschlechter viel Raum in seiner Abrechnung. Sein publizistisches Ziel ist es, das Paradigma vom „bösen Mann“ zu schwächen, den offenen Diskurs zu stärken und in seinem bei Books on Demand erschienen Buch „emanzipativen Feministinnen“ wie Bascha Mika und Birgit Kelle „ein Podium zu geben“.

Mit seiner Prognose „Gute Nacht, Alice“ könnte Wasser ungeahnt recht behalten. Nicht, weil Schwarzer in ihr neuntes Lebensjahrzehnt geht. Oder die „emanzipativen Feministinnen“ Deutungshoheit zurückerobern könnten. Sondern weil, wie so oft in der Geschichte, das Radikale noch aggressivere Nachkommen gebiert. Nicht nur unter dem Stichwort white privilege und der Verlagerung auf verschiedene Diskriminierungserfahrungen im Rahmen der Intersektionalität, sondern auch unter den Vorzeichen queer und Transgender hat sich innerhalb der einstmals engen Allianz aus Feministen und Homosexuellen eine neue Macht gebildet, die die alte Garde weißer lesbischer Feministinnen längst vom Thron gestoßen hat. Wer sich etwa noch als Lesbe bezeichne, sei schon transphob, da sie biologische Frauen liebe und „Frauen mit Penis“, also Transfrauen somit diskriminiere. Unter vorgeschobenen Absurditäten beißt die Queer-Bewegung aggressiv nach Frauen und ihrer feministischen Vorherrschaft. Aus Frauenbeauftragten sind längst Queerbeauftragte geworden. Der Feminismus frißt seine Frauen.

Gerade Alice Schwarzer könnte davon heute ein Lied singen, da sie in diesem Milieu zum Beispiel wegen ihrer Kritik an „Transfrauen“ momentan gerade zur persona non grata reift. Ihre just erschienene Streitschrift „Transsexualität. Was ist eine Frau? Was ist ein Mann?“ wurde in einschlägigen Medien jedenfalls nur mit Naserümpfen als „unsympathisch und wenig hilfreich“ (Deutschlandfunk) rezensiert. 

Harald Wasser: Gute Nacht, Alice! Plädoyer für einen emanzipativen Feminismus. Books on Demand, Norderstedt 2022, broschiert, 736 Seiten, 24,99 Euro

Foto: Alice Schwarzer, Foto von 2013: Feminismus macht sakrosankt – damals