© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Leserbriefe

Zu: „Das russische Desaster“ von Dieter Stein, JF 15/22

Zweierlei Maß bei Kriegsverbrechen

Es ist vollkommen richtig, die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, und zwar für die Kriegsverbrechen überall. Man mag zwar Kriegsverbrechen klassifizieren, dennoch bleiben sie Verbrechen. Bei den von den USA angezettelten Kriegen in Vietnam, Afghanistan und im Irak, bei dem viele Hunderttausende Zivilisten umgekommen, sind, hieß es im westlichen Sprachgebrauch, das seien alles Kollateralschäden. Von Kriegsverbrechen überhaupt keine Rede. Kürzlich sagte Premierminister Boris Johnson im britischen Unterhaus, wer Kampfmittel auf unschuldige Zivilisten wirft, erfülle bereits vollkommen die Bedingungen eines Kriegsverbrechens. Hunderttausende unschuldige Frauen und Kinder wurden im Zweiten Weltkrieg durch anglo-amerikanische Bomben getötet. In einer einzigen Nacht weit mehr als im gesamten Ukrainischen Krieg. Sind für diese Verbrechen die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden? Nicht einer! Es waren ja nur Deutsche. Da war keine Rede von Völkermord, Kriegsverbrechen oder Nürnberger Tribunal. 

Als Kind habe ich erlebt, wie russische Tiefflieger Flüchtlingstrecks beschossen haben. Auf dem Rückweg zu unserem Heimatort waren einige Straßenabschnitte zu beiden Seiten mit toten Zivilisten und toten Pferden gesäumt. Insgesamt sollen bei der Flucht über eine Million Menschen umgekommen sein. Wo war da der Ruf nach Gerichtsbarkeit? Ach, es waren ja nur Deutsche. Zu den eingangs zitierten Kriegsverbrechen der USA herrschte in den Medien Stillschweigen. Jetzt überschlagen sich die Medien in ihrer täglichen Berichterstattung. Es muß wohl den Unterschied machen, durch welche Kriegspartei unschuldige Zivilisten zu Tode kommen.

Harry Springstubbe, Schotten






Zu: „Doppelte Verlierer“ von Thorsten Hinz, JF 15/22

Lehrstück realpolitischer Leerstelle

Mit seiner Behauptung, „Bismarck hätte den europäischen Staatenbund zu einer eigenständigen Ostpolitik geführt“, verkennt Thorsten Hinz grundsätzlich den realpolitischen Charakter von Bismarcks Politik. Denn dazu gehörte auch eine illusionslos-realistische Lageanalyse, um Politik als „Kunst des Möglichen“ erfolgreich betreiben zu können. Ein europäischer Staatenbund müßte verteidigungspolitisch so stark sein, daß er überhaupt in der Lage wäre, Rußland als eigenständige Macht gegenüberzutreten. Das ist er aber – so sehr man sich darüber beklagen kann – nun einmal nicht und wird es auch so bald nicht werden. Aufgrund der heute gegebenen Lage gibt es keinen Ersatz für das nordatlantische Paktsystem der Nato und die gemeinsame Verteidigung Europas zusammen mit den USA. Warum wohl war es nach 1991 so ein dringendes Anliegen fast aller ehemaliger Ostblockstaaten, so rasch wie möglich unter das Dach der Nato zu kommen? Daß die Amerikaner dabei ihre „geopolitischen Interessen“ vertreten – ja und? Wer könnte es ihnen denn übelnehmen und von ihnen verlangen, zugunsten der lieben europäischen Freunde die eigenen Interessen zu vernachlässigen?

Und zweitens: Bismarck hat seinerzeit die Politik der anderen Mächte sehr genau nach ihren Motiven und Erscheinungsformen einschätzen können. Die Politik der angelsächsischen Mächte, so sehr sie zeitweise (etwa in der Kolonialpolitik) auch gegen die deutschen Interessen gerichtet sein mochten, war letzten Endes immer rational berechenbar, sie folgte erkennbaren Interessen und Zielen. Ganz anders die russische Politik, die Bismarck als ehemaliger Gesandter in St. Petersburg (1859–62), der die russische Sprache einigermaßen beherrschte, genau kannte: Hier agierte man immer wieder irrational, betrieb Gefühlspolitik, verwendete Erpressungen und Beleidigungen als politische Mittel und blieb, kurz gesagt, stets unberechenbar und agierte gelegentlich auch extrem gewalttätig. Rußland kam daher als Verbündeter für Deutschland niemals in Frage, und Bismarck war sich über die, wie er einmal bemerkte, „wölfischen Instinkte der russischen Politik“ stets im klaren. Deutschland könne die Russen, schrieb er 1888 an den deutschen Botschafter in Wien, Fürst Heinrich VII. Reuß, nur „wie eine elementarisch vorhandene Gefahr (…) behandeln, gegen die wir Schutzdeiche unterhalten, die wir aber nicht aus der Welt schaffen können“. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Prof. Dr. Hans-Christof Kraus, Universität Passau




Bismarck hätte Melnyk Paroli geboten

Daß Bismarck „den europäischen Staatenbund zu einer eigenständigen Ostpolitik geführt“ hätte, ist natürlich nur eine Hypothese, die weder verifiziert noch falsifiziert werden kann. Aber mit seinem Fazit hat Autor Thorsten Hinz zweifellos recht: Wie immer der Ukraine-Krieg ausgeht, „gehören wir auf jeden Fall zu den Verlierern, und das gleich doppelt: als Europäer in der Welt und als Deutsche in Europa.“ Kein Staatsmann von Bismarckschem Format ist in Sicht. Während die Ukraine von einem professionellen Schauspieler geführt wird, ist in Deutschland eine drittklassige Laienschauspieltruppe am Werk. Ersterer hat es geschafft, von den „Vereinten Naiven“ im Westen als Held wahrgenommen zu werden, die letzteren lassen sich von einem unverschämten Botschafter in Berlin vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Auch Bismarck hat Fehler gemacht, aber sicherlich hätte er sich nicht von irgendeinem osteuropäischen Politiker auf der Nase herumtanzen lassen. Hätte man ihn im Amt belassen, wäre vielleicht der Erste Weltkrieg vermieden worden.

Peter Kiefer, Steinen




Zuallererst deutsche Interessen

Bei aller Achtung vor Bismarcks Diplomatie wird oft übersehen, daß der Eiserne Kanzler zunächst seine Hausaufgaben erledigt hat. Auf Druck der preußischen Militärführung erarbeitete er zunächst eine weltweit vorbildliche Sozialgesetzgebung. Um die Volksgesundheit war es damals so schlecht bestellt, daß der Zustand der Rekruten eine wirksame Verteidigung des Landes fraglich machte. Mit seinen Reformen festigte Bismarck zugleich den inneren Zusammenhalt des Landes, eine unverzichtbare Voraussetzung für äußere Stärke. Einem Erfolgsmodell Deutschland würden die anderen Europäer auch heute ihre Unterstützung nicht versagen. Die einzige Stimme, die auf die nötige Weitsicht schließen läßt, ist die von Sahra Wagenknecht. Ihr Urteil lautet kurz zusammengefaßt: Die Europäer haben im Gegensatz zu den USA das größte Interesse daran, den Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich zu beenden. Sie müssen auch danach mit Rußland leben.

Volker Wittmann, Philippsburg






Zu: „Die deutsche Position“ von Karlheinz Weißmann, JF 15/22

Blaupause des isolierenden Sonderwegs

Karlheinz Weißmann attestiert der deutschen Politik, sie besitze „keine(n) Ansatz einer Strategie, eines Entwurfs dessen, wie die Position Deutschlands in der Staatenwelt aussehen könnte“. Von der „Grundorientierung der Rheinbundpolitik – westliche Wertegemeinschaft, Schutzmacht USA“ – wollte man nach seiner Auffassung schon zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung nicht lassen. Geboten sei in einem ersten Schritt die Klärung der deutschen Interessen und in einem zweiten Schritt, „der Nation wieder Stolz einzuflößen“, damit das Land „endlich seine historische Aufgabe versteht, in der Mitte des Kontinents ein organisierendes Zentrum zu bilden und der Lähmung Europas ein Ende zu machen.“ 

Unklar bleibt für den Leser, welche politischen Entscheidungen sich hieraus ergeben. Schwebt Weißmann eine Wiederbelebung von Friedrich Naumanns Mitteleuropa-Konzeption vor? Sollte Deutschland eine – auch militärisch fundierte – hegemoniale Position in Europa anstreben, ein europäisches Gegengewicht zu den USA und einem militärisch erstarkten Rußland, gar zu einem sino-russischen Block schaffen? Bedeutete dies nicht eine hoffnungslose Überschätzung der eigenen Kraft, ganz zu schweigen vom Umstand, daß die übrigen europäischen Nationen diesem Weg schwerlich folgen würden? Führte eine solche Politik also nicht in die völlige Isolation? Zu Weißmanns Hinweis, die Völker Zwischeneuropas hätten im Unterschied zu den Deutschen „die Lehre der Geschichte beherzigt“, sei auf Grund der bisherigen Erfahrung des Ukraine-Krieges bemerkt: Die polnische Führung hat in den letzten Wochen wiederholt auf ein direktes Eingreifen der Nato in den Krieg gedrängt – bislang zum Glück erfolglos. Ein solcher Schritt, der gerade nicht die Lehren der Geschichte beherzigen würde, hätte mit großer Wahrscheinlichkeit eine militärische Auseinandersetzung zwischen Rußland und den Nato-Staaten zur Folge. Das wäre das Ende Deutschlands und Europas.

Georg Schirmers, Köln






Zu: „Weiße Schuld ist ein Hirngespinst“ von Lothar Karschny, JF 15/22

Energiemangel forderte Sklaven

Die ausgezeichnete Darstellung der Sklaverei und des Sklavenhandels in der Welt von Egon Flaig bleibt hier an der Oberfläche. Die Ursache wird mit keinem Wort erwähnt: der Mangel an mechanischer Energie. Zwar hat der Mensch schon immer die Wärmeenergie des Feuers genutzt. Doch die tägliche Arbeit mußte er bis in die Neuzeit weitgehend mit seiner geringen Leistung von 100 Watt bewältigen. Zug- und Reittiere, Wasser- und Windmühlen und Segelschiffe vergrößerten zwar geringfügig die verfügbaren mechanischen Energien. Doch sie blieben Mangelware. Es war lohnend, andere Menschen für sich arbeiten zu lassen. Kriege wurden geführt, um Sklaven zu fangen. Das galt auf der ganzen Welt. Auch das christliche Abendland gehörte dazu. Hier gab es zwar vielfach keine Sklaven, sondern Leibeigene. Weiter wurden im großen Umfang Frondienste von den Guts- und Landesherren eingefordert. 

Mit der Erfindung der Dampfmaschine, der später der Verbrennungsmotor und Dampf- Gasturbinen folgten, gab es ab dem 19. Jahrhundert immer mehr und immer preiswertere mechanische  Energie. Die Sklaven wurden zu teuer. Das Ende der Sklaverei haben Erfinder wie James Watt bewirkt. Nur über die Modalitäten der Sklavenbefreiung haben Politiker entschieden. Heute kostet die Tagesleistung eines „Sklaven“, das ist eine Kilowattstunde, als Strom 35 Cent. Ein Durchschnittshaushalt verbraucht 4.000 Kilowattstunden. Das heißt, wir halten uns mehr als zehn „Arbeitssklaven“, die zusammen täglich vier Euro kosten. Jeder Energiemangel mindert die Zahl dieser Hilfskräfte und damit unseren Lebensstandard. Sklaven könnten wieder bezahlbar werden.

Prof. Dr.-Ing. Hans-Günter Appel, Schortens






Zum Schwerpunktthema: „ʻEs muß eine Lösung herʼ“, JF 14/22

Im Kreml ist Orwells „1984“ Realität

Daß der angesehene Unternehmer Wolfgang Grupp ein so vehementer Putin-Versteher ist, hat mich total enttäuscht und sehr frustriert. Einem 80jährigen wird ja oft eine gewisse Altersweisheit unterstellt, was bei Grupp in puncto Putin aber eher zum Altersstarrsinn mutiert ist, der die Realitäten nicht mehr erkennen kann. Es scheint für ihn ganz logisch zu sein, daß Putin gekränkt ist und deshalb berechtigterweise seinen Frust an seinem Bruderland in brutalster Weise ausläßt. In Putins Reich ist der Roman von George Orwell „1984“ Wirklichkeit geworden, und es sind die Menschen in Rußland zu bedauern, die nur schweigen müssen, wenn sie nicht ins Gefängnis oder beseitigt werden wollen. 

Daß aber ein in der Öffentlichkeit stehender Mann, der über alle Informationen in Deutschland und der Welt frei verfügen kann, diese Propaganda des Kreml nachbetet, ist ein Skandal und weit unter dem Niveau der JUNGEN FREIHEIT!

Josef Kleboth, Königsbach




Wie bestellt, so geliefert

Trigema-Chef Wolfgang Grupp fordert vollmundig „eine Lösung wegen der hohen Energiepreise“. Hierzu ist anzumerken, daß es genau Wolfgang Grupp war, der vor der letzten Bundestagswahl 2021 in den hiesigen Lokalzeitungen medienwirksam erklärt hat, er würde diesmal die Grünen wählen. Ich habe ihm deshalb am 19. Februar 2021 geschrieben, was er da eigentlich wählt. Schließlich ließ sich seine Wortmeldung in den Medien auch als explizite Werbung für die Grünen verstehen (wenn der die wählt, kann ich sie auch wählen).

Nachdem aufgrund der derzeitigen Energiesituation die meisten vernünftigen Nachbarstaaten (zum Beispiel Belgien, Frankreich usw.) beschlossen haben, ihre Atomkraftwerke länger zu betreiben, lehnt der grüne Wirtschaftsminister Habeck eine Laufzeitveränderung der letzten drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland ab. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, schließlich kommen die Grünen ja aus der Anti-Atombewegung. Wolfgang Grupp braucht sich über die derzeitige Energiepreissituation nicht zu ärgern, schließlich hat er zumindest mittelbar dazu beigetragen.

Klaus Hipp, Hechingen-Boll






Zu: „Gallebittere Medizin“ von Volker Kempf, JF 14/22

Auftrag zu weiterer Spurensicherung

Sehr geschätzte JF-Redaktion, für Ihren Artikel über die Bärenfarmen in Vietnam und anderswo danke ich Ihnen herzlich. Ihr Bericht hat mich wirklich erschüttert. Ich hoffe, Sie bleiben der Sache auf der Spur!

Dr. Arthur Schanz, Overijse / Belgien