© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Endlich geht es wieder los!
Nach langer Corona-Pause locken die Biergärten / Kulturgut als Exportschlager
Bernd Rademacher

Herr Ober, drei Helle bittschön! Endlich! Nach den Corona-Lockdowns öffnen nun wieder die Biergärten! Was kann es Schön’res geben, als den Schaum vom Bierkrug zu pusten, eine herzhafte Brotzeit zu vertilgen und Blättern und Blüten beim Sprießen zuzusehen? Unterm grünen Dach alter Kastanien, auf weißem Kies an einem gelaugten Holztisch gutgelaunten Mitmenschen zuprosten – da fühlt man sich fast wie ein Münchner im Himmel.

So wie jetzt im Königlichen Hirschgarten der Augustiner-Brauerei in München-Nymphenburg. Mit 8.000 Plätzen ist der Hirschgarten nicht nur einer der schönsten, sondern auch der größte Biergarten Bayerns – und das seit über 200 Jahren. 

Dabei ist dieses großartige Kulturgut eigentlich aus einer Not entstanden: Um ihr verderbliches Bier in den warmen Sommermonaten kühl lagern zu können, legten Münchner Brauereien am Isarufer tiefe Eiskeller an. Als zusätzliche Wärmeisolierung pflanzten sie schattenspendende Kastanien an und bestreuten den Boden mit hellem, reflektierendem Kies. Die Kastanie war nicht nur wegen ihrer großen Blätter der Baum der Wahl, sondern auch, weil die flachen Wurzeln nicht durch die Kellerdecken drangen.

Allerdings durften die Brauer kein Bier direkt aus ihren Kellern ausschenken, um die Innenstadtwirte vor Konkurrenz zu schützen. Nur von Juni bis September war es ihnen erlaubt, Bier ab Lager zu verkaufen. Das Anbieten von Speisen blieb jedoch untersagt. Also stellten sie in den heißen Monaten einfach Tische und Bänke unter die Bäume und die Münchner brachten sich ihre Brotzeit zum Bier selbst mit. 1812 wurde der Biergartenausschank von König Maximilian I. offiziell legalisiert. Dreizehn Jahre später fiel auch das Speisenverbot. In der Folgezeit schossen die Gartenwirtschaften nur so aus dem Boden. Hunderte alter Forsthäuser, Post- und Zollstationen wurden zum „Biergarten“ findiger Gastronome.

Von hier aus zog das Konzept als Exportschlager um die Welt. vor allem in die USA: Vom „Bay Street Biergarten“ in Charleston/South Carolina, über das „Prost!“ in Portland/Oregon (Werbeslogan: „Enjoy a weizenbock – or two“) bis zur „Wurstküche“ in Los Angeles, wo neben Bratwurst und Haxen auch „Doner Kebap“ auf der Karte steht.

Biergenuß vor der herrlichen Naturkulisse eines Wasserfalls

Aber auch „Kaitlyn’s Beer Garden“ in Mumbai/Indien, der „Southbank Beer Garden“ in Brisbane/Australien oder der „Bier Garden“ in Campo Bom/Brasilien sind an schönen Tagen gut besucht. Der „Karl i Fridrich Beer Garden“ – benannt nach den deutschen Gründern von 1724 – im russischen St. Petersburg dürfte derzeit für westliche Besucher geschlossen sein.

In Tokio sind viele Biergartenbetreiber große Kaufhäuser, die ihre Dachterrasse für den Ausschank von Grüntee-Bier und weiteren exotischen Brauspezialitäten nutzen. Im „Beer Garden Land“ auf dem Dach des Bahnhofs Shinjuku steht an jedem Tisch ein eigener Grill, auf dem die Gäste Fleisch und Fisch brutzeln können. Und im „Forest Beer Garden“ am Meji-Schrein von Shinanomachi genießen Japaner und Touristen ihr Bier vor der herrlichen Naturkulisse eines Wasserfalls.

Der neueste Trend bei uns sind sogenannte „Pop-Up-Biergärten“, die während der coronabedingten Kneipenschließungen aufploppten, um Abstandsregeln einhalten zu können. Zum Beispiel an der „Villa Rheinperle“ im Duisburger Hafen. Bierbänke und Loungemöbel laden im „Biergarten 2.0“ zum entspannten Verweilen ein.

Viele Gastronomen im ganzen Land haben die Idee aufgegriffen. Besonders innovativ: Das Essen zum Bier wird digital per App bestellt. Die angeschlossenen Partnerrestaurants bringen die Gerichte per Lieferdienst an den Tisch. Manchmal kommen die Speisen nicht von Restaurants, sondern „Geisterküchen“, das sind Gastronomiebetriebe ohne klassischen Gastraum, die ausschließlich für Lieferdienste kochen, ob italienisch, asiatisch, mexikanisch oder was auch immer. Bezahlt wird ebenfalls online bei Bestätigung der Bestellung. Nachteil: Ohne Smartphone und Internetverbindung bleibt man hungrig und durstig.

Traditionell geht es dagegen in den Klassiker-Biergärten zu, von denen es auch außerhalb von Bayern einige echte Perlen zu entdecken gibt. Uneingeschränkt empfehlenswert sind zum Beispiel der Prater Biergarten (Prenzlauer Berg) oder der Schleusenkrug (Tiergarten) in Berlin. Der Dresdner Schillergarten an der Elbe, ebenso wie der Freiburger Kastaniengarten,  die Gerbermühle in Frankfurt am Main oder der Waterloo Biergarten (Hannover). Und am Deutschen Eck bei Koblenz mitten im Wein-Rheinland kann man sein Bier sogar unter dem wohlwollenden (oder durstigen?) Blick von Kaiser Wilhelm I. süffeln. Wo auch immer – wohl bekomm’s!