© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 17/22 / 22. April 2022

Der Flaneur
Gott sei Dank: Aufgewacht
René Langner

Was für ein wundervoller Tag. Die Sonne scheint, nur ein paar kleine Wolken ziehen über den sonst strahlend blauen Himmel. Die Temperaturen klettern. Mit ihnen erhöht sich auch die Laune meiner Zeitgenossen. Ich sitze in meinem Lieblingscafé und genieße einen Cappuccino. Meine Tischnachbarin lächelt mir freundlich zu.

Nicht weit entfernt – am Eingang zum Park – hält Freude Einzug. Menschen lachen, Hunde bellen, Kinder spielen unbeschwert. Auf einer Bank ein Pärchen eng umschlungen. Im Geiste blicke ich zurück. Ich erinnere mich widerwillig an die letzten Monate. Was für eine düstere Zeit. Abstand, Masken, Angst und Spaltung. Soziales Miteinander kaum noch möglich. Zum Glück, so denke ich, ist diese Phase nun vorbei.

„Nachweis abgelaufen!“, raunzt mich eine rauhe Stimme an. Erschrocken sehe ich mich um. Vor mir eine Dame in kräftiger Statur, Hinter mir eine Schlange von etwa einem Dutzend düster dreinblickender Personen.

Ich schließe die Augen und atme tief durch: „Nur was ich annehme, kann ich auch verändern.“

Und wieder. „Drei Monate – nicht sechs!“ Die Stimme der Frau am Einlaß fordert mich zum Gehen auf. Ich wende mich ab und entferne mich ein Stück. Hinter eintönigen Masken erkenne ich teils rollende Augen. Scham steigt in mir auf. Ich denke nach und versuche die Gedanken zu sortieren.

Schnell wird es mir klar: Der schöne Tag war nur ein Traum. Von Freiheit keine Spur. Tristesse und monotone Gesichter statt Lebensfreude und klaren Emotionen. Mein Platz im Café – dank Kürzung meines Status – nun meilenweit entfernt.

Wut und Ärger steigen in mir auf. Ich schließe die Augen und atme tief durch. „Nur was ich annehme, kann ich auch verändern.“ Dieses Zitat von Carl Gustav Jung kommt mir – vermutlich genau im richtigen Moment – in den Sinn. Ob er es in schwerer Zeit ersonnen hat? Ich weiß es nicht. Mir zumindest ist es eine große Hilfe. Und so nehme ich an, egal was kommen mag, und geh entschlossen meinen Weg. Denn tief in meinem Herzen, da weiß ich ganz genau, daß auch dieser Alptraum sein jähes Ende finden wird.