© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Linkspartei vor dem Niedergang
Nachrufe nicht zu früh schreiben
Sandro Serafin

Fraktionschefin Mohammed Ali nennt die Lage der Linkspartei „sehr dramatisch“. Nach Enthüllungen um sexuelle Belästigungen und dem Rücktritt von Co-Chefin Hennig-Wellsow herrscht bei den Sozialisten endgültig Weltuntergangsstimmung. Die Gründe für den desolaten Zustand wurzeln tief: Mit abgehobenen Diskursen hat sich die Partei ihrer Kernwählerschaft entfremdet. Zugleich legten die vergangenen Jahre massig Bruchlinien offen: erst die Migrationsfrage, dann Corona, zuletzt Afghanistan und Ukraine. Hinzu kamen persönliche Kämpfe; und ein Personal, das Blumensträuße werfen kann, mit denen aber kein Blumentopf zu gewinnen ist.

Die bloßen Protestwähler, die sich von alledem nicht abschrecken lassen würden, sammeln sich längst bei der AfD. Wie tiefgreifend die Krise ist, führte jüngst das Wahldebakel im Saarland vor Augen. Aussicht auf Besserung ist nicht in Sicht, kann die Partei doch bei den anstehenden Landtagswahlen kaum gewinnen. Läuft es schlecht, fliegt sie im kommenden Jahr in Hessen aus dem letzten Parlament eines westdeutschen Flächenlandes. Zurück bliebe eine Regionalpartei, deren nur noch mäßiger Rückhalt in den östlichen Bundesländern nicht mehr für bundesweite Relevanz genügt. Doch die Nachrufe sollten nicht zu früh geschrieben werden: Die umbenannte SED ist robuster als einem lieb sein kann. Sie hat sogar den Untergang ihres eigenen Staates überlebt und dürfte auch aus diesem Tief irgendwann wieder auftauchen.