© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Plötzlich Paria
SPD: Wegen ihrer Haltung zu Rußland gerät die Partei unter Druck/ Ex-Kanzler Gerhard Schröder ein Sündenbock?
Florian Werner

Es ist ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Bundesrepublik: ein Altkanzler wird von der Vorsitzenden seiner Partei zum Austritt aufgefordert. Dieses Drama spielt sich momentan zwischen Gerhard Schröder und der SPD ab. Deren Parteivorsitzende Saskia Esken hat dem ehemaligen deutschen Regierungschef unlängst nahegelegt, sich endlich von seinem Parteibuch zu verabschieden. Schröder hätte seine Mandate bei russischen Energiekonzernen niederlegen müssen, um sein Ansehen als Altkanzler zu retten. „Diesem Rat ist er leider nicht gefolgt“, bedauerte sie im Deutschlandfunk. Die Bundestagsabgeordnete Michele Müntefering ging sogar noch einen Schritt weiter und forderte seinen Ausschluß aus der Partei. „Gerhard Schröder schadet unserem Land, unserem internationalen Ansehen – und besonders auch der SPD. Wir müssen einen Parteiausschluß prüfen“, twitterte die Frau von Franz Müntefering (SPD), der seinerzeit Verkehrsminister im ersten Kabinett Schröder und dessen Nachfolger an der Spitze der Partei war.

In den vergangenen Monaten hatte Schröder eine ganze Reihe von Würden und Ehrungen verloren. Der Fußballverein Borussia Dortmund etwa kündigte seine Mitgliedschaft. Um einem Rauswurf zuvorzukommen, verließ der Sozialdemokrat daraufhin auch den Club Hannover 96. Aus ähnlichen Gründen legte er auch die Ehrenbürgerschaft der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover ab. Es wird zunehmend einsam um den Altkanzler. Mit seinem politischen Ziehsohn, SPD-Parteichef Lars Klingbeil und seinem ehemaligen Büroleiter Albrecht Funk haben sich bereits zwei wichtige Weggefährten öffentlich wegen seiner Verbindungen nach Rußland von ihm losgesagt.

Zuletzt hatte Schröder sein Engagement für russische Energiekonzerne erneut verteidigt. Im Gespräch mit der New York Times unterstrich der Sozialdemokrat, er werde sich nicht für seine berufliche Vergangenheit entschuldigen. „Mea culpa ist nicht meine Sache“, betonte der Politiker. Er habe immer im Sinne deutscher Interessen gehandelt. Seinen Kritikern begegnete der Gaslobbyist mit Spott. Damals habe sich niemand über die Pipelines aus Rußland aufgeregt. Und auf einmal wolle niemand mitgemacht haben.

Aber nicht nur Altkanzler Schröder selbst, sondern auch sozialdemokratische Ministerpräsidenten wie Manuela Schwesig aus Mecklenburg-Vorpommern oder Stephan Weil aus Niedersachsen geraten wegen ihrer früheren Kontakte nach Rußland immer stärker unter Druck. Vorwürfen, sie habe ihre schützende Hand zu lange über das deutsch-russische Pipeline-Projekt Nord Stream 2 gehalten, begegnete Schwesig gelassen. „Vor einem halben Jahr gab es eine Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Und die Bürger haben mich mit großer Mehrheit in meinem Amt bestätigt, mit einem starken Bürgervotum. Deshalb können sich die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern auch darauf verlassen, daß ich weiter dieser Erwartung und diesem Vertrauen der Bürger gerecht werde“, stellte die mecklenburgische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) der Deutschen Presse-Agentur zufolge klar und wies damit Rücktrittsforderungen zurück.

Diese wurden zuletzt immer wieder von CDU und FDP erhoben – beispielsweise von deren ehemaliger Generalsekretärin Linda Teuteberg. „Wenn die Vorwürfe gegen Schwesig stimmen, daß sie zwei Leute eingestellt hat, um Genehmigungen für Stiftungen zu erlangen, dann war sie Unternehmenslobbyistin eines fremden Landes“, äußerte sie der Bild-Zeitung gegenüber. CDU-Generalsekretär Mario Czaja ging noch einen Schritt weiter und forderte die strafrechtliche Überprüfung der Angelegenheit. „Die Vorwürfe werden immer schwerwiegender und gehen bis hin zu strafrechtlicher Relevanz“, erläuterte der Berliner. CDU-Parteichef Friedrich Merz sprach gar von einem „roten Sumpf an der Küste“, der ausgetrocknet werden müsse.

„Auf einmal  weiß es jeder besser“ 

Der Generalsekretär der Landes-SPD, Julian Barlen, zeigte sich irritiert über Wortmeldungen wie diese. „Anstatt sich angesichts der Greuel inmitten Europas und aus Respekt vor den Opfern politisch zu versammeln, sich unterzuhaken und gemeinsam stark für Frieden und ein gutes Miteinander einzutreten, zieht es die Opposition im Bund leider vor, ein regelrechtes Kesseltreiben zu veranstalten“, betonte er. Auch Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) äußerte sich verwundert. „Die CDU hat alle Beschlüsse mitgetragen. Deswegen blicke ich mit einer gewissen Verwunderung auf einige Beteiligte, die damals dabei waren, als ich alle Informationen offengelegt habe. Es überrascht mich, wie schnell da einige vergessen und heute nicht mehr dabeigewesen sein wollen“, äußerte der Minister im Gespräch mit dem Nordkurier. Tatsächlich hat die Union den Bau von Nord Stream 2 sowohl im Bund als auch auf Landesebene mitgetragen und unter Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) in Schutz genommen.

Der mit der Leitung der Stiftung betraute ehemalige mecklenburg-vorpommersche Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) kündigte unterdessen an, diese weiterzuführen. „Damit ist für uns als Stiftung die Auflösung vom Tisch“, unterstrich der Sozialdemokrat. Sellering verwies auf ein Gutachten, laut dem die kurzfristige Abwicklung der Stiftung rechtlich nicht möglich sei. Stattdessen wolle man sich nun auf deren Kernanliegen, den Klimaschutz, konzentrieren.

Im Laufe der Affäre um Nord Stream 2 werden allerdings immer weitere und teils skurrile Details über das Gebaren der mecklenburgischen Landesregierung bekannt. So sollen wichtige Unterlagen zur Umwelt- und Klimastiftung im zuständigen Finanzamt verlorengegangen sein. Andere Dokumente verweisen wiederum auf Gerhard Schröder zurück. Eine Presseanfrage des Spiegels an den Altkanzler wurde zum Beispiel von einem Berater der Nord Stream 2 AG mit dem Vermerk an die Schweriner Landesregierung weitergeleitet, man wolle sich nicht öffentlich äußern. 

Schröder ficht das nicht an. „Die vergangenen 30 Jahre haben alle mitgemacht. Und auf einmal weiß es jeder besser“, mokierte er sich im New York Times-Interview. Man könne ein so großes Land wie Rußland auf lange Sicht weder politisch noch ökonomisch isolieren. Mit dieser Ansicht steht der Altkanzler im Moment scheinbar auf weiter Flur allein.

Foto: Gerhard Schröder umarmt Wladimir ­Putin bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 im Moskauer Luschniki-Stadion: „Mea culpa ist nicht meine Sache“