© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

„Wir sprechen die Unzufriedenen an“
Landtagswahl in Schleswig-Holstein: Die AfD im hohen Norden gilt als Sorgenkind der Partei / Wiedereinzug gilt dennoch als sicher
Christian Vollradt

Daß alle Umfragen die AfD ziemlich sicher wieder im Landtag von Schleswig-Holstein vertreten sehen – aktueller Wert: sechs Prozent –, verbuchen viele in der Partei schon als Erfolg. Im Westen, vor allem im nördlichen Teil der „alten“ Bundesrepublik wachsen die Bäume der Blauen wahrlich nicht in den Himmel. Und dann zählt der Verband im Land zwischen den Meeren auch noch zu den „Sorgenkindern“ der AfD: von innerparteilichen Grabenkämpfen und Richtungsstreitereien schwer gezeichnet.

Da war der Fraktionsausschluß der zeitweiligen Landesvorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein, die schließlich auch die Partei verlassen mußte, dort aber nach wie vor über eine gewisse Anhängerschaft zu verfügen scheint. Im Herbst 2020 schließlich verlor die AfD durch den Austritt des Abgeordneten Frank Brodehl den Fraktionsstatus im Landtag an der Kieler Förde. Jörg Nobis, der sich in einer Kampfabstimmung zum zweiten Mal als Spitzenkandidat durchsetzen konnte, gibt sich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT zuversichtlich, daß man am Sonntag nächster Woche nicht allzu sehr zittern muß: „Wir haben eine Stammwählerschaft, die offensichtlich unsere Arbeit im Parlament trotz des Zerfalls der Fraktion honoriert und die uns noch einmal eine Chance geben möchte.“ 

Und das, obwohl die Rahmenbedingungen für eine Partei, die stark auf Protest setzt, nicht die besten sind. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ist mit Abstand der beliebteste Politiker im Land und sogar der beliebteste aller Länderchefs. Wenn es etwas im hohen Norden nicht gibt, dann ist das eine politische Wechselstimmung. Die Corona-Maßnahmen sind weitgehend ausgesetzt, das Ganze ist kein Thema mehr. 

Was bleibt da für die AfD? „Wir sprechen vor allem die Unzufriedenen an“, so Nobis. „Diejenigen zum Beispiel, die finanziell nicht so gut gestellt sind und momentan besonders unter den massiv gestiegenen Energiepreisen leiden.“ Es komme zu sehr widersprüchlichen Reaktionen bei den Passanten. „Die einen winken gleich ab, weil sie mit uns partout nichts zu tun haben wollen. Andere wiederum sagen: ‚‘Brauchst mir keinen Flyer zu geben, ich habe euch schon gewählt’“, schildert der AfD-Spitzenkandidat seine Erlebnisse im Straßenwahlkampf. Unangenehm ist der in den Großstädten. Dort konnten die Infostände der AfD nur unter Polizeischutz stattfinden. In Kiel mußten die Beamten gewaltbereite linksextreme Störer zurückdrängen, um schlimmere Ausschreitungen zu verhindern. „Der Plakatschwund beträgt in Kiel annähernd hundert Prozent“, bilanziert Nobis. 

Doch die AfD wäre nicht die AfD, wenn es nicht auch Kreisverbände gäbe, die keinen Wahlkampf machen, weil sie den eigenen Spitzenkandidaten ablehnen. Landesweit gibt es gerade einmal etwas mehr als 800 Mitglieder, viele von ihnen im Rentenalter. Das bedeutet: Es gibt zu wenig jüngere Aktive, die Plakate kleben und Werbezettel verteilen. Immerhin bekam man Unterstützung aus der Nachbarschaft, aus Mecklenburg-Vorpommern ebenso wie aus Hamburg. Auch AfD-Bundesvize Beatrix von Storch kam aus Berlin zum Wahlkämpfen in ihre alte Heimat. Am Samstag wird sie ebenso wie der Vorsitzende Tino Chrupalla und der Schweriner Landeschef Leif-Erik Holm bei der Abschlußveranstaltung in Lübeck auftreten. 

Foto: Jörg Nobis: „...noch einmal eine Chance geben“