© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Ländersache: Sachsen
Hochmut, Mißgunst, Wöllerei
Paul Leonhard

Rückblickend war es vielleicht doch keine Günstlingswirtschaft, die Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) veranlaßt hat, seinen Parteifreund und früheren Referenten Florian Oest auf den Posten des Kommunikationschefs zu hieven, sondern die nackte Verzweiflung. Dem „über viele Jahre geschätzten Wegbegleiter“ des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer war das Ministerium längst über den Kopf gewachsen. 

Davon zeugt eine Personalpolitik, die Cathleen Martin, Landeschefin der Deutschen Polizeigewerkschaft, als „wirr und irr“ bezeichnet, und die aus Sicht des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) schuld an der „schlechten Stimmung“ bei der Polizei ist.

„Ich bin ein Mensch, der Realitäten wahrnimmt“, hatte Wöller bereits im Juni 2020 kleinlaut verkündet und einen Offenbarungseid geleistet, dem der Rücktritt hätte folgen müssen: Ihm sei „bewußt und klar geworden, daß die Informationsflüsse und -politik nicht nur in der Polizeidirektion Leipzig, sondern auch im Innenministerium so gelaufen sind, daß ich nicht zufrieden bin“: Da hatte Wöller gerade aus der Zeitung erfahren, daß in der Messestadt eine Polizistin zwischen 2015 und 2019 Hunderte gestohlene Fahrräder illegal verkauft hatte, auch an Beamte und Angestellte der Leipziger Polizeidirektion.

Bald konnte Wöller aus den Medien von weiteren Skandalen lesen: Speziell die Einsatzkommandos der sächsischen Polizei führen offenbar bis heute ein Eigenleben. Nach den Vorfällen um gestohlene Munition und inoffizielle Schießübungen ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft aktuell gegen Mitglieder des Mobilen Einsatzkommandos, weil diese einen Skiurlaub im Viersternehotel als Dienstreise abgerechnet hatten – die Spitze eines Eisberges, der auch die Polizeihochschule betrifft, wo Prüfungsfragen durchgestochen wurden.

Hinzu kommt, daß unter dem aus Duisburg stammenden Wöller ehemalige Offiziere der DDR-Volkspolizei in höchste Ämter kletterten und im Leipziger Stadtteil Connewitz nach wie vor die gewaltbereite linke Szene dominiert. Kretschmer zog die Notbremse, als er feststellte, daß „nur noch über vermeintliche oder tatsächliche Skandale“ geredet werde. Die Situation erforderte eine Person mit „Kraft, Vertrauen und neuen, frischen Ideen“ und der es vor allem gelingt, das „Vertrauen der Mitarbeiter zu ihrem Dienstherrn“ wieder herzustellen. Kretschmers Wahl fiel auf Armin Schuster, seit November 2020 Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Der 60jährige soll nun Ruhe in den Laden bringen. 

Insbesondere die Linken trauen dem Mann aus Baden-Württemberg einiges zu: Schusters Ruf „läßt nicht viel Gutes erwarten“, fürchtet Kerstin Köditz, Innenexpertin der Linken, um die Zukunft der Linksextremisten in Leipzig. Als erstes soll Schuster aber die jüngsten Personalentscheidungen seines Vorgängers prüfen. Dabei geht es auch um die Rektorenstelle an der Polizeifachschule. Bei dieser ließ Wöller die Einstellungsvoraussetzungen derart absenken, daß sie exakt auf das Bewerbungsprofil einer Freundin seiner Frau paßten.