© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

Koalitionärer Katzenjammer
Gepard, Leopard und Co: Uneinigkeit beim Thema Panzerlieferungen an die Ukraine
Peter Möller

Die deutsche Öffentlichkeit „militarisiert“ sich angesichts des Krieges in der Ukraine im Schnelldurchgang. Wo früher die Bundeswehr meist nur bei tatsächlichen oder vermeintlichen rechtsextremistischen Vorfällen ein Thema war und ansonsten alles Militärische mit demonstrativer Verachtung gestraft wurde, wird seit ein paar Wochen plötzlich detailreich über die Vor- und Nachteile sowjetischer Panzertypen gefachsimpelt und kenntnisreich zwischen Defensiv- und Offensivwaffen sowie neuerdings zwischen schweren und leichten Waffen unterschieden.

Vor allem die Frage, ob Deutschland gepanzerte Fahrzeuge und Artillerie, also „schwere“ Waffen an die Ukraine liefern sollte, wurde in den vergangenen Tagen mehr und mehr zu einer Belastungsprobe für die Ampel-Koalition. Insbesondere Bundeskanzler Olaf Scholz, der mit Rücksicht auf die starke pazifistische Strömung in seiner Partei hinhaltenden Widerstand gegen die Lieferung schwerer Waffen geleistet hat, geriet zusehends in die Defensive. Vor allem von seiten der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), wurde Scholz am Wochenende ungewöhnlich deutlich unter Druck gesetzt. Ein so großes Land wie Deutschland müsse führen, gerade in so einer Krise wie der des schrecklichen Krieges in der Ukraine, sagte Strack-Zimmermann am Sonntag im ZDF. Und diese Führung müsse von Olaf Scholz kommen: „Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch.“ Und dann folgte ein Satz, den viele in Berlin als offene Kampfansage, manche sogar als unverhohlene Rücktrittsforderung an Scholz verstanden haben: „Und für die, die diese Rolle nicht annehmen wollen, sage ich, dann sitzen sie möglicherweise im falschen Moment am falschen Platz.“ Auch wenn Strack-Zimmermann später versuchte, die Wogen etwas zu glätten, war klar: Die Koalition steht vor einer Zerreißprobe.

Am Montag wuchs der Druck auf die Ampel, endlich eine Entscheidung zu treffen, weiter: Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag legte einen bereits Tage vorher angedrohten Antrag vor, der explizit die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine fordert. Nach dem Willen der Union sind „aus verfügbaren Beständen der Bundeswehr in größtmöglichem Umfang Rüstungsgüter direkt für die Ukraine bereitzustellen und unverzüglich dorthin zu liefern, inklusive ‘schwerer Waffen’ wie gepanzerte Waffensysteme (darunter Kampfpanzer und Schützenpanzer) und Artilleriesysteme.“ Auch wenn Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) der Koalition gleichzeitig einen gemeinsamen Entschließungsantrag anbot, „mit dem Klarheit geschaffen wird, welche Waffen Deutschland bereit ist zu liefern“, war klar, daß die Union gezielt einen Keil in die Ampel treiben wollte.

Doch endgültig auf der Tagesordnung der Koalition stand das brisante Thema bereits seit der vergangenen Woche. Am Donnerstag wurde der Bundesregierung erstmals seit dem Angriff Rußlands auf die Ukraine von der Waffenschmiede Rheinmetall eine formale Bitte um Genehmigung für den Export von Panzern vorgelegt. Das Rüstungsunternehmen möchte hundert Schützenpanzer vom Typ Marder, die nach ihrer Ausmusterung bei der Bundeswehr von der Industrie für eine mögliche weitere Nutzung eingelagert worden waren, an die Ukraine liefern. 

Linkspartei und AfD  bleiben bei ihrer Ablehnung

Demnach ist die Lieferung der Panzer, die zunächst noch instandgesetzt werden müssen, in drei Schritten geplant: Zunächst sollen innerhalb von sechs Wochen 25 Marder übergeben werden, 25 weitere nach sechs Monaten und die letzten Exemplare dann in einem Jahr. Nach einem Bericht der Welt am Sonntag wurde die Anfrage für die Lieferung der Marder von dem für Rüstungsexporte zuständigen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) umgehend zur Entscheidung an das Bundeskanzleramt weitergeleitet.

Mit dem Antrag auf Lieferung von Marder-Schützenpanzern, war der Damm anscheinend endgültig gebrochen. Am Dienstag wurde dann gemeldet, die Bundesregierung wolle der Ukraine Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard liefern, die ebenfalls aus ehemaligen Beständen der Bundeswehr stammen und von der Industrie modernisiert werden sollen. Daß es diese aus der 2012 aufgelösten Heeresflugabwehrtruppe stammenden Panzer überhaupt noch gibt, war einer breiteren Öffentlichkeit erst nach Beginn des Krieges bekanntgeworden, als der Rüstungskonzern Kraus-Maffei-Wegmann die Lieferung der bis zu 50 eingelagerten Geparden an die Ukraine ins Spiel gebracht hatte. Von seiten der Bundesregierung war zunächst unter anderem darauf verwiesen worden, daß für die Maschinenkanonen der Panzer nicht mehr ausreichend Munition bereitstünde. Wie dieses Problem gelöst wurde, war zunächst unklar.

Angesichts der sich zunehmend auf die Lieferung schwerer Waffen verengenden Diskussion haben Beobachter darauf hingewiesen, daß die Bilanz Deutschlands bei der Unterstützung der Ukraine mit militärischer Ausrüstung auch im Vergleich mit anderen westlichen Staaten gar nicht so schlecht ausfällt. So seien neben den öffentlich bekanntgewordenen Panzer- und Flugabwehrwaffen große Mengen Munition und Sprengmaterialien (unter anderem 100.000 Handgranaten) geliefert worden. Hinzu kommen die Bemühungen Berlins, mittels eines sogenannten Ringtausches Waffen aus sowjetischer Produktion, die noch bei östlichen Nato-Partnern wie etwa Slowenien vorhanden sind, im Tausch gegen Panzer aus Bundeswehrbeständen an die Ukraine zu liefern. Doch die auch nach Auffassung vieler Ampel-Politiker katastrophale Kommunikation der Ukraine-Politik durch Bundeskanzler Scholz verhindert bisher, daß diese Schritte in der Öffentlichkeit ausreichend gewürdigt werden.

Unterdessen bleiben Linkspartei und AfD bei ihrer Ablehnung jeglicher Waffenlieferungen. „Der Antrag von CDU und CSU, schwere Waffen an die Ukraine zu liefern, ist brandgefährlich“, warnten etwa die Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Alice Weidel und Tino Chrupalla, am Montag. „Er ist ein weiterer Schritt in einem gefährlichen Überbietungswettbewerb, der droht, Deutschland immer weiter in den Krieg hineinzuziehen.“ Die AfD-Fraktion lehne die Lieferung von Waffen in das Kriegsgebiet grundsätzlich ab. „Wir müssen alles vermeiden, was dazu beiträgt, daß aus dem Krieg in der Ukraine ein Flächenbrand und eine militärische und damit atomare Konfrontation der Nato mit Rußland wird“, mahnten Weidel und Chrupalla.

Der frühere Berliner AfD-Vorsitzende Georg Pazderski brachte noch ein anderes Gegenargument ins Spiel: So müßten erst einmal die Besatzungen mit viel Aufwand „ausgebildet sein und harmonieren, um das Waffensystem richtig zu bedienen und im besten Falle zu beherrschen“, schrieb der pensionierte Panzergrenadier-Oberst. Notwendig seien zudem Ersatzteile sowie Techniker. „Ohne an den Fahrzeugen und am Gerät ausgebildete Elektroniker, Kfz- und Waffenmechaniker wird das Großgerät zur Einmal- oder gar zur Wegwerfwaffe.“ Das jedoch könne nicht im Interesse der Ukrainer und derjenigen sein, die unbedingt helfen wollen.

Foto: Flugabwehrpanzer Gepard: Von der Bundeswehr vor zehn Jahren ausgemustert, soll das komplexe Waffensystem jetzt an die Ukraine geliefert werden