© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/22 / 29. April 2022

„Weiter in den Schlamassel“
Linkspartei: Der Rücktritt der halben Doppelspitze verschärft die Existenzkrise der Partei
Paul Leonhard

Die deutsche Linke muß sich schon wieder neu erfinden. „Angesichts der schwierigen Lage der Partei sind wir überzeugt, daß der Parteivorstand ein neues Mandat des Parteitages benötigt“, heißt es in einer Erklärung der Partei. Über dieses soll auf einem Parteitag Ende Juni abgestimmt werden. Aber es geht nicht nur um eine Neuwahl des bisher sorgfältig zwischen Ost und West, Reformern und Orthodoxen austarierten Parteivorstands, der derzeit 44 Personen umfaßt, sondern auch um eine neue Führungsspitze und neue Strukturen, um „klare Entscheidungsstrukturen und eine bessere Zusammenarbeit der Gremien, Landesverbände und Fraktionen zu ermöglichen“, so die Noch-Parteivorsitzende Janine Wissler, die bis zu dem für Ende Juni in Erfurt geplanten Parteitag im Amt bleiben will.

Ihre Co-Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow hat dagegen am Sonntag hingeschmissen. Als Gründe nannte sie die Berichte über die sexuellen Übergriffe bei der hessischen Linken (JF 17/22), ihre „private Lebenssituation“ sowie die bisher „gescheiterte“ Erneuerung der Partei. Diese war das große Ziel der Ende Februar 2021 gewählten ersten weiblichen Doppelspitze in der Linkspartei. Und die Vorzeichen standen eigentlich nicht schlecht, da im Parteivorstand ein Bündnis aus Reformern und Bewegungslinken dominiert, die mehrheitlich hinter Hennig-Wellsow und Wissler standen.

Die aus Putins Angriffskrieg auf die Ukraine resultierenden geplanten exorbitanten Rüstungsausgaben und Teuerungen, die insbesondere die einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen in Deutschland treffen, erfordern aber ein Neudenken bei jenem Teil der Linken, der sich noch immer als „einzige Friedenspartei“ fühlt. Auch der sozial-ökologische Umbau, die deutsche Außenpolitik und der Umgang mit dem Sexismus nach den Vorwürfen sexueller Gewalt in den eigenen Reihen dürften in den nächsten Wochen heiß diskutiert werden.

Nicht nur Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht werden die Chance nutzen, um die „Lifestyle-Linken“ zu kritisieren und ihnen vorzuwerfen, die Einkommensschwachen völlig aus dem Blick verloren zu haben, sondern auch mühsam gedeckelten Konflikte zwischen den verschiedenen Strömungen und Gruppierungen erneut aufbrechen. Kandidaten für die neue Spitze werden bisher nicht gehandelt, was zeigt, wie ausgeblutet die Linke ist. 

„Der politische Betrieb ist hochgradig krank, und ich habe nicht vor, meine Lebenszeit wieder mit Leuten zu verbringen, die jeden Kontakt zur Realität normaler Leute verloren haben“, sagte der einstige Hoffnungsträger der Linken, Fabio De Masi, gegenüber dem Tagesspiegel. Noch deutlicher kommentierte die sozialistische Tageszeitung Neues Deutschland die Situation der Partei: „Es geht immer noch ein Stück weiter hinein in den Schlamassel.“